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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Vergangenheit, als wäre es sein eigenes Land, das hinter dem Horizont verschwand. Felsen nahm einen weiteren Schluck Alkohol, um das Stechen in seinem Schädel zu lindern. Der kühle Schnaps brannte bis in den Magen.
    »Hat sie es bekommen?«, fragte er noch einmal, und der Engländer sah ihn verwirrt an, ohne zu antworten.
    Felsen durchsuchte die Taschen des englischen Agenten und fand die Brieftasche. Er blätterte die Geldscheine durch und stieß auf das Foto, das er ins rötliche Abendlicht hielt.
    »Haben Sie bekommen, was Sie wollten?«, fragte Felsen. »Das können Sie mir doch wenigstens sagen.«
    »Ich wollte nicht, dass sie ein Visum bekommt.«
    »Dann haben Sie wahrscheinlich nicht bekommen, was Sie wollten.«
    »Was wollte ich denn?«
    »Sie meinen …« Felsen hielt inne. »Sie ficken, Mr. Burton. Wollten Sie sie nicht ficken?«
    »Laura?«, fragte er.
    »Ah«, sagte Felsen. »Ein Missverständnis.«
    »Ich kann Ihnen nicht folgen.«
    »Lauras Abkommen. Kannten Sie Lauras Abkommen nicht? Besorg mir ein Visum. Nein. Mach bloß den Eindruck, als könntest du mir ein Visum besorgen … dann kannst du mich ficken. Beim bloßen Wort ›Visum‹ haben ihre Augen verliebt geglänzt. Das konnte jeder sehen, Mr. Burton. Ich war nicht der Erste, das kann ich Ihnen versichern, längst nicht.«
    Felsen drehte das Foto um.
    »Für Edward in Liebe«, las er, und das machte ihn aus irgendeinem Grund noch grausamer. »Kommen Sie, Edward, erzählen Sie mir nichts … ich meine, sie hat Sachen gemacht, zu der man eine Hure von der Friedrichstraße nur mit Mühe bewegen könnte …«
    Burton sprang auf, stürzte sich auf ihn, legte seinen dünnen Arm um den Stiernacken des Deutschen und hieb mit der Faust in dessen Niere. Felsens Ellbogen schoss zurück wie ein Dampfhammer. Der Junge ging zu Boden. Abrantes fächerte die Holzkohle weiß.
    Felsen fesselte den Engländer an den Stuhl und trank einen weiteren Schluck bagaço . Sein Kopf fühlte sich besser an, klarer, glatter. Er wedelte mit dem Vertrag in Richtung des Engländers.
    »Sie befinden sich auf meinem Gebiet, Edward. Sie nehmen mein Wolfram. Mit wem reden Sie sonst noch dort unten?«
    Burton schaltete seinen Verstand ab. Er hörte dem Deutschen nicht zu, roch die beißende Holzkohle nicht, spürte nicht den heißen Atem von Abrantes’ Fächer und sah nicht die roten Wolken, die sich seltsam am Himmel ballten.
    Im Kofferraum des Wagens fand Felsen ein Stück Draht. Abrantes begann, die chouriços zu grillen, und wendete sie mit plötzlich behutsamen Fingern. Mit verräterisch schwerer Zunge bombardierte Felsen den Engländer mit Fragen. Der Alkohol erinnerte ihn an Laura, die gestohlenen Manschettenknöpfe, Eva, Lehrer und die Hure aus Guarda in der vergangenen Nacht. Burton schwieg und verdrängte den widerwärtigen Geruch von geröstetem Schweinefleisch.
    »Die fette rumänische Sau in der Visaabteilung hat mir erzählt, dass Salazars Polizei von der Gestapo ausgebildet worden ist«, sagte Felsen. »Meine Kollegen haben mir erzählt, dass es ein gewisser Kramer war. Er leitet jetzt ein KZ. Dort weiß man mit Menschen umzugehen. Wir hören alle davon, Edward, wir wissen es alle, aber es geht doch nichts über Erfahrungen aus erster Hand. Ich war selbst nie in einem KZ, das heißt, ich habe nur aus zweiter Hand gelernt, sodass Sie meine Methoden möglicherweise ein wenig unzivilisiert finden.«
    Felsen hielt den Draht in die glühende Holzkohle. Er nahm dem Agenten den Gürtel ab und schnitt mit Abrantes’ Messer seine Hose und Unterhose auf. Er fand einen Lederhandschuh, den er überstreifte, bevor er den heißen Draht aus dem Feuer nahm. Er spürte einen Windhauch im Rücken, blickte aus der Mine in den wie von chemischen Farben leuchtenden Himmel und wandte sich dem Engländer zu.
     
    Kurz nach fünf Uhr nachmittags kamen die Bauern zurück nach Amêndoa. Die Hitze des Tages hatte ihren Höhepunkt erreicht. Ihre Augen brannten in den Höhlen, ihre Zungen waren dick von ranzigem Speichel. Sie gingen zur Quelle, tranken gierig und tauchten Lumpen aus ihren Taschen ins Wasser, um sich damit Hals und Gesicht zu kühlen. Als sie das Tier zum ersten Mal hörten, hielten sie kurz inne. Ein seltsames Tier, das sie nie zuvor gehört hatten und das offenbar grausame Schmerzen litt. Sie gingen bis zum Rand des Dorfes. Aus einem Loch in dem Hügel drang ein Schrei, und plötzlich erkannten sie ihn. Sie setzten ihre Hüte fest auf und gingen zurück in ihre kühlen

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