Tod in Lissabon
blinden Vater. Frauen sprachen ihn nicht an.
Nach dem Mittagessen entschuldigte er sich. Felsen stand auf und streckte seine Glieder. Durch die halb offene Tür sah er ein Wohnzimmer, in dem die Mutter häkelte, dahinter die Küche. Abrantes stand hinter dem Mädchen, das sich mit beiden Händen auf dem Tisch abstützte. Er hatte seine Hand unter ihren Rock geschoben und strich sich über die Vorderseite seiner Hose, als würde er erwägen, das Mädchen gleich an Ort und Stelle zu besteigen. Doch er überlegte es sich anders, ging hinaus und stieg die schwarze Treppe an der Außenwand des Hauses hinab.
11
3. Juli 1941,
Guarda, Beira Baixa, Portugal
Felsen schwitzte an seinem kleinen Tisch neben einem mit Läden verrammelten Fenster in dem muffigen Restaurant, das zwar Ventilatoren hatte, die aber nicht funktionierten. Die Läden hielten zumindest die brütende Hitze fern, die von den Pflastersteinen und Gebäudefassaden abstrahlte, halfen jedoch nicht gegen die Stickigkeit in dem Raum. Im vorderen Teil des Restaurants saßen fünfzehn Männer an zwei Tischen, im hinteren Teil saß er allein. Die Männer waren laut, volframistas , Wolfram-Abbauer, mit zu viel Geld aus ihren Mineralienfunden und zu viel Brandy im Magen. Sie trugen alle chapéus ricos , die genauso aussahen wie die Arme-Leute-Mützen, aber teurer waren, dazu Stifte in der Brusttasche ihrer Jacken, obwohl sie allesamt Analphabeten waren. Das Restaurant war ruhig gewesen, bis der beste Wein des Hauses ausgegangen war und die volframistas dazu übergegangen waren, in denselben Mengen Brandy zu trinken. Ihre Rivalen am Nebentisch hielten Flasche für Flasche mit. Die Beleidigungen türmten sich wie Abwasch im Spülbecken, und der rohe, unbehandelte Holzfußboden drohte Blutflecken abzubekommen.
Joaquim Abrantes kam herein und brüllte die fetten, schwitzenden Männer am ersten Tisch an, die sich sofort beruhigten. Die anderen volframistas setzten ihre Beleidigungen einseitig fort, bis Abrantes sich umdrehte und sie mit seinen brandneuen Kronen anlächelte, die noch bedrohlicher wirkten als seine verfaulten Stümpfe. Danach war es ruhig.
Abrantes nahm in seinem neuen Anzug Felsen gegenüber Platz. Er wusste inzwischen durchaus um den Nutzen eines Lächelns im geschäftlichen Umgang mit Nordeuropäern, hatte sich jedoch immer noch nicht an seine neuen Kronen gewöhnt, die er sich erst kürzlich auf Felsens Kosten in Lissabon hatte machen lassen.
Felsen war gerade aus Berlin zurückgekehrt, wo er bei einem Treffen mit Gruppenführer Lehrer dessen hässlichere Seite kennen gelernt hatte. Am 20. Juni hatte Lehrer Fritz Todt, den Reichsminister für Bewaffnung und Munition, getroffen, der aus Sorge über die Konsequenzen, die der für den 22. Juni geplante Beginn des Russlandfeldzugs auf die Produktion haben würde, ganz krank und grau wirkte. Lehrer hatte Felsen erklärt, dass die Wolfram-Vorräte jämmerlich waren, und ihm lebhaft eine weitere Begegnung, diesmal mit dem SS-Reichsführer Himmler, geschildert, der ihn nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke gemacht habe. Das bezweifelte Felsen. Er hatte Himmler vor dem Krieg auf einer Kundgebung in München erlebt. Der Mann war eher ein Erbsenzähler als ein Zur-Schnecke-Macher.
Das Fazit dieser übellaunigen Mittagsbegegnung war: Wolfram wurde gebraucht, und zwar zu jedem Preis. Außerdem sollte Felsen die Entwicklung von Zinn sowie einige andere Märkte im Auge behalten – Sardinen, Olivenöl, Kork, Leder und Decken zum Beispiel.
»Soll das heißen, dass wir im russischen Winter angreifen wollen?«, hatte Felsen gefragt.
»Russland ist groß«, hatte Lehrer langsam erwidert. »Die kleine Verzögerung hat sich zur … Unzeit ergeben.«
»Man braucht eben Zeit, um Jugoslawien, Griechenland, Rumänien und Bulgarien zu erobern …«
»Ich wette, im Hotel Parque ist der Champagner in Strömen geflossen«, unterbrach Lehrer ihn schroff.
»Da bin ich überfragt, Herr Gruppenführer.«
Der Riesling hatte wie Säure geschmeckt.
Felsen war nach Lissabon zurückgeflogen und hatte versucht, von der Abwehr Informationen zu erlangen, die ihm einen Vorsprung gegenüber den Briten geben würden, die bei seinen neuen Preisen mithielten und ihm gerade einen 50-Tonnen-Vertrag vor der Nase weggeschnappt hatten. Doch die Abwehr war nicht sehr hilfsbereit. Jetzt war Felsen wieder in der Beira, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Abrantes schlürfte die Suppe zwischen seinen neuen Zähnen, während
Weitere Kostenlose Bücher