Tod in Lissabon
habe sie seit Jahren nicht mehr geöffnet. Ich weiß nicht einmal, wo der Schlüssel ist.«
»Dann suchen Sie ihn.«
»Ich weiß nicht …« Eva erstarrte. Schmidt hatte seinen Mantel aufgeknöpft und seine Walther PPK gezückt. »Was machen Sie da?«
»Der beste Juden-Detektor, den ich kenne«, sagte er.
»Und wenn kein Jude darin ist, geben Sie mir ein halbes Jahresgehalt?«
»Ein halbes Jahresgehalt?«
»Das ist eine Truhe aus dem 17. Jahrhundert, und auch die Bücher darin sind wertvoll. Was glauben Sie, warum ich sie aus dem Schlafzimmer hier herübergeschleppt habe?«
Schmidt fasste den Griff seiner Waffe nach und richtete sie auf Eva.
»Sie kennen die Strafe, die auf die Unterbringung von Illegalen steht?«
»Mindestens ein paar Jahre KZ, nehme ich an.«
»Peng!«, sagte er.
»Wir sind hier fertig«, sagte Müller.
Sie gingen, und Eva stürzte sofort auf die Toilette. Dann zündete sie sich, Kleid und Mantel noch um die Hüfte gerafft, eine Zigarette an.
Sie musste sich zwingen, das Haus zu verlassen. Sie hatte gesagt, dass sie auf dem Sprung gewesen war, also musste sie jetzt auch gehen. Sie wusste, dass sie in ihrem Wagen hocken und auf sie warten würden. Sie rauchte ihre vierte Zigarette, kippte den letzten Rest Cognac herunter, spülte sich den Mund aus und verließ das Haus. Die Bürgersteige waren mit Trümmern übersät, und ständig schleppten Polen und Tschechen weitere Brocken aus den Häusern. Der Gestapo-Wagen hielt neben ihr, und Schmidt kurbelte das Fenster herunter.
»Können wir Sie mitnehmen?«, fragte er.
»Ich laufe lieber, vielen Dank.«
»Auf Wiedersehen. In der Prinz-Albrecht-Straße Nr. 8.«
Als sie in ihrem Klub in der Kurfürstenstraße ankam, war sie trotz der Kälte schweißgebadet. Traudl lag auf einem Feldbett hinter einem Vorhang in ihrem Büro. Dort wohnte sie, wenn sie keine Männer finden konnte, die sich um sie kümmerten, was meistens der Fall war. Sie war dünn und weiß, ihre Wangenknochen ausgeprägt und zerbrechlich wie Porzellan. Eva schickte sie, die Bar sauber zu machen, und machte es sich mit einem Cognac und weiteren Zigaretten bequem. Langsam schienen sich ihre Glieder, die sich angefühlt hatten wie die kubistische Idee eines Körpers, wieder zu ordnen. Die innere Wärme kehrte zurück, ihre Eingeweide konsolidierten sich. Sie machte die Abrechnung für September und verbannte Hansel und Gretel aus ihren Gedanken.
Um halb acht ging sie kurz nach Hause, um ihre Abendgarderobe anzuziehen. In der Kälte eilten Gruppen von Juden – als Arbeiter einer Waffenfabrik legal geduldet – mit dem gelben Stern, den sie seit Anfang September per Gesetz tragen mussten, im Trott an ihr vorbei, um noch vor der Ausgangssperre ab zwanzig Uhr nach Hause zu kommen.
Bevor sie in die von der Kurfürstenstraße abgehende kleine Kopfsteinpflaster-Gasse bog, blickte sie zum sternklaren Himmel auf und schnupperte. Die Luft war rein, und in der Straße standen keine offensichtlichen Gestapo-Fahrzeuge. Dafür würde es wahrscheinlich Fliegeralarm geben. Der Sommer war schrecklich gewesen. Erst Lübeck, dann Köln, Düsseldorf, Hamburg, Osnabrück, Bremen und natürlich Berlin. Der Gestank von Verwesung hatte in der Luft gelegen. Nur die Ratten waren fett. Doch heute Abend war die Luft rein. Sie ging in ihre Wohnung und sah in jedem Zimmer nach.
»Alles sicher«, sagte sie leise.
Irgendwann hörte sie Geräusche aus dem hintersten Zimmer. Der junge Mann drückte sich durch die Tür, das Gesicht verzerrt, der Körper steif.
»Wo ist das Mädchen?«, fragte Eva.
Im selben Augenblick tauchte die junge Frau hinter ihr auf.
»Wo warst du?«
»In der Truhe«, sagte sie. »Ich habe gerade ausprobiert, wie groß sie ist, als sie kamen.«
Eva stellte sich die Szene aus der Perspektive des Mädchens in der Truhe vor und erschauderte.
»Heute Abend brecht ihr nach Göteburg auf«, sagte sie, um ein hoffnungsvolleres Thema anzuschneiden.
Das Mädchen lächelte zur Decke. Der Junge kniff Eva in den Arm. Es klopfte leise an der Tür. Der Junge schlich den Flur hinunter. Das Mädchen war plötzlich verschwunden. Eva räusperte sich.
»Wer ist da?«
Ein weiteres leises Klopfen.
Sie öffnete die Tür. Draußen standen zwei Mädchen. Eines achtzehn oder neunzehn, das andere höchstens vierzehn. Beide trugen den gelben Stern.
»Ja?«, sagte Eva und blickte über ihre Köpfe hinweg ins Treppenhaus.
»Können Sie uns helfen?«, sagte die Ältere. »Wir kommen von Herrn
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