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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Kaufmann.«
    »Das geht nicht«, sagte sie und hörte die Mädchen stöhnen, als hätte man auf sie eingestochen. »Ich werde beschattet.«
    »Was sollen wir tun?«
    »Ihr müsst woandershin gehen.«
    »Heute noch?«
    »Es ist zu gefährlich für euch, hier zu bleiben.«
    »Wohin sollen wir denn gehen?«
    Sie blinzelte. Warum hatte Kaufmann ihr nicht gesagt, dass er zwei weitere schicken würde? Sie presste die Faust an die Stirn und versuchte, eine nahe gelegene Alternative zu finden.
    »Kennt ihr Frau Hirschfeld?«, fragte sie.
    Die beiden schüttelten den Kopf.
    »Kennt ihr euch in Berlin aus?«
    Erneutes Kopfschütteln.
    Sie schrieb ihnen den Weg auf. Nach zwanzig Uhr war das Haus ohne Papiere nicht mehr so leicht zu erreichen, sie mussten sich auf den Weg machen. Sie selbst hatte immer noch jede Menge Arbeit mit Hansel und Gretel vor sich. Sie ging in ihr Arbeitszimmer, schloss die zweite Schublade auf, zog sie heraus, entnahm den Inhalt und drehte die Lade um. Auf der Unterseite klebten die falschen Papiere für Hansel und Gretel auf den Namen Hans und Ingrid Kube.
    Es klopfte erneut leise an der Tür.
    »Was nun wieder?«
    Sie schob die Schublade samt Inhalt zurück an ihren Platz.
    Wieder klopfte es leise.
    Diese Mädchen. Was dachte sich Kaufmann bloß?
    Sie ging durchs Wohnzimmer und öffnete die Wohnungstür. Draußen standen die beiden in ihren Mänteln, kreuzbrav, die Füße geschlossen. Hinter ihnen erhob sich, jeweils eine Hand auf ihren Schultern, Müller. Schmidts korpulente Gestalt trat, die von ihr notierte Wegbeschreibung schwenkend, ins Licht – ein Augenblick der Unkonzentriertheit. Das kleinere Mädchen begann zu weinen.
    »Einen schönen Gruß von Frau Hirschfeld«, sagte Schmidt und stieß Eva mit der flachen Hand brutal zu Boden.
    »Was sagten Sie noch, wie teuer die Truhe ist?«, fragte er und schlug die Tür hinter sich zu. Er zog seine Pistole und entsicherte sie. Man hörte Schritte im Treppenhaus.
    »Nein«, sagte Eva.
    »Nein? Warum nicht?«
    »Ich habe den Schlüssel gefunden.«
    »Für Schlüssel ist es zu spät.«
    Er jagte zwei Kugeln in die Truhe. Man hörte einen gedämpften Schrei. Eva stürzte sich auf den Arm, mit dem Schmidt die Waffe hielt, und er schlug ihr den Lauf gegen die Stirn. Sie ging zu Boden, blieb jedoch bei Bewusstsein. Schmidt feuerte eine weitere Kugel in die Truhe. Dann spürte Eva, wie sie hochgehoben und mit der Wange auf dem geschnitzten Deckel der Truhe abgelegt wurde. Schmidt riss ihren Rock hoch, packte mit der Hand roh zwischen ihre Beine und stieß mit dem Finger zu. Man hörte einen Schrei aus dem hinteren Teil des Hauses, ein unzusammenhängendes Jammern. Irgendetwas Großes und Schweres wie der Kleiderschrank, den umzustellen Eva nicht geschafft hatte, fiel um. Die Hand ließ sie los. Man hörte ein gewaltiges Knacken und einen kurzen Moment der Stille, bevor der gesamte hintere Teil des Hauses mit nicht enden wollendem Getöse zusammenbrach.
    Eva rutschte von der Truhe; Schmidt stand über ihr und starrte, unfähig, sich zu rühren, mit offenem Mund auf den andauernden Einsturz, der drohte, sie alle in die Tiefe zu reißen.
    Nur Eva empfand zum ersten Mal seit zwei Jahren keinerlei Furcht, sondern nur die Erleichterung, dass alles vorbei war. Bis das Getöse wieder verstummte, sie immer noch Boden unter ihren Füßen spürte und Schmidt sagen hörte:
    »Das war aber wirklich nicht sicher, was?«
     
     
     
    1. Oktober 1942,
    Largo do Rato, Lissabon-Zentrum
     
    Am Largo do Rato hatte Felsen ein taxí a gasogénio genommen, die vor beinahe einem Jahr eingeführt worden waren, als die Benzinknappheit erstmals zu ernsthaften Engpässen führte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich in einem Gefährt, das mit einem Holzofen im Kofferraum betrieben wurde, weniger sicher, als wenn es durch die Verbrennung von Benzin in Gang gesetzt wurde. Er konnte es kaum erwarten, wieder auszusteigen, was er nach nicht einmal hundert Metern Fahrt die Rua da Escola Politécnica hinunter auch tat, allerdings nicht, weil er die Nerven verloren hatte.
    Zunächst glaubte er, sich geirrt zu haben, doch die Ähnlichkeit war so verblüffend, dass er aussteigen musste, um es zu überprüfen. Die Frau bog rechts in die Rua da Imprensa Nacional ab, und er rannte ihr humpelnd nach, bis er sie eingeholt hatte. Er hatte sich nicht geirrt. Es war Laura van Lennep. Er packte ihr Handgelenk, als sie wieder rechts abbiegen wollte, und sie fuhr herum und versuchte, sich

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