Tod in Lissabon
aus der Beira war besser gelungen als Marias. Er hatte eine durchaus imposante Statur und einen finsteren Blick, der auch Stadtbewohnern Respekt abnötigte. Genau wie Felsen, als der aus dem Schwabenland in die große Stadt gekommen war, hatte Abrantes Benehmen und Manieren gelernt. Er begrüßte Felsen so großspurig, wie es einem erfolgreichen Kriegsgewinnler gebührte, und führte ihn an die Wiege, auf deren Rand Maria eine besitzergreifende Hand gelegt hatte.
»Mein zweiter Sohn«, sagte er. »Dein Patensohn. Wir haben ihn Manuel genannt. Ich hätte ihn gerne nach dir benannt, aber … ich bin sicher, du verstehst, dass ein portugiesischer Junge nicht Klaus heißen kann. Also haben wir ihn nach meinem Großvater benannt.«
Felsen nickte. Das Baby schlief fest, eingewickelt in viel zu viele Decken. Er sah aus wie jedes andere Baby auch, vielleicht ein bisschen weniger faltig. Maria kitzelte den Kleinen mit einem Finger. Felsen spürte ihren beobachtenden Blick. Der Säugling wehrte sich gegen den zudringlichen Finger, und als er die Lippen schürzte, bildete sich eine kleine Blase. Plötzlich schlug er die Augen auf, sie wirkten überrascht und zu groß für sein Gesicht. Felsen runzelte die Stirn. Marias Gesicht tauchte in seinem Blickfeld auf.
»Der kommt ganz nach seiner Mutter«, sagte Abrantes hinter ihm.
Die Augen sahen ziemlich blau aus, vielleicht konnte man als vermeintlicher Vater auch einen Stich von Marias Grün erkennen, aber für Felsen waren es blaue Augen, seine Augen.
»Ein hübsches Baby«, sagte er automatisch, und Maria nahm wieder auf der Chaiselongue Platz.
Abrantes nahm das Baby aus der Wiege, hob es hoch und sah es brummend an. Der Kleine blinzelte den großen Bär an.
»Mein zweiter Sohn«, sagte er. »Kein Mann ist glücklicher als der mit zwei Söhnen.«
»Wie wär’s mit einem Mann mit drei Söhnen?«, fragte Maria neckisch und selbstbewusst.
»Nein, nein«, sagte Abrantes abergläubisch, »einer von dreien ist immer schlecht.«
Der Säugling nahm seine kleinen, aber beeindruckenden Kräfte zusammen und stieß einen langen, durchdringenden Schrei aus.
19
21. Dezember 1942,
SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt,
Unter den Eichen 126–135, Berlin-Lichterfelde
»Stalingrad«, sagte Lehrer, der, den Ellenbogen auf die Schreibunterlage gestützt, seitlich an seinem Tisch saß, die andere Hand wie eine Klinge erhoben. »Spricht man in Lissabon über Stalingrad? Trinkt man im gottverdammten Hotel Parque in Estoril auf Stalingrad?«
Felsen saß allein auf der anderen Seite des Schreibtischs und rauchte, ohne zu antworten. Niemand sprach über Stalingrad.
»Spricht man darüber?«, bohrte Lehrer nach.
»Nicht bei dem Essen, zu dem ich gestern Abend eingeladen war.«
»Nur klimperndes Besteck auf Porzellan?«
»Ganz so schlimm war es nicht.«
»Und Poser? Wie sah Poser aus?«, fragte Lehrer und verlagerte sein Gewicht.
»So wie Poser immer aussieht, nur kränker.«
»Hmm«, brummte Lehrer geräuschvoll. »Zeitzier, der Stabschef der Armee, hat zwei Wochen lang von Stalingrad-Rationen gelebt, um seine Solidarität mit den Männern an der Front zu demonstrieren. Er hat zwölf Kilo abgenommen. Was sagt Ihnen das?«
Felsen schloss die Augen, entnervt von einer weiteren von Lehrers ewigen Testfragen. Er wollte sagen, dass ihm das sagte, dass Zeitzier offensichtlich mehr als zwölf Kilo zu verlieren hatte, aber ein Blick auf Lehrers gespannten Gürtel machte ihm klar, dass das den Gesprächston kaum auflockern würde.
»Die Sechste Armee steckt in großen Schwierigkeiten«, leierte Felsen herunter, ganz Lehrers Lieblingsschüler.
»Sie wissen, dass ich meine Kontakte ins ostpreußische Hauptquartier bei Rastenberg habe, Herr Sturmbannführer. Ich habe verlässliche Informationen, dass Feldmarschall Paulus und seine 2ooooo Männer am Ende sind«, sagte Lehrer, und seine Hand fiel wie eine Guillotine.
»Kann man keinen Ausfall versuchen, Rückzug und Neuformation?«
»Der Führer erlaubt es nicht. Er ist besessen von der Schande eines Rückzugs zusammen mit der Schande, unsere komplette schwere Artillerie zu verlieren. Offenbar sieht er Zeitzlers Einwand nicht ein, dass wir ohne Rückzug alles verlieren – nicht nur Stalingrad, sondern den gesamten Russlandfeldzug.«
»Ist Stalingrad von entscheidender strategischer Bedeutung?«
Lehrer hob die Hände, wenn schon nicht zu Gott, dann doch zumindest zu den Verdunklungsjalousien.
»Es ist ein Mythos«, sagte er. »Wenn
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