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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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Abständen die Tasse zum Mund führt, ist ihr beinahe schon vertraut …
    Ja?, fragt der Polizist. Wenn einer am Nachmittag …?
    Am Nachmittag?, fragt Maria-Carmen und sieht den Polizisten verständnislos an.
    Du hast gesagt, wenn einer am Nachmittag – und dann, was war dann? Rede doch weiter!
    Ich weiß nicht. Ich weiß nichts.
    Sie ist müde, das siehst du doch. Müde und aufgeregt. Und außerdem hat sie keine Ahnung, oder? Das siehst du doch! Lass uns abhauen.
    Der mit dem Notizbuch hat zum ersten Mal gesprochen. Seine Stimme ist höher und dünner als eine gewöhnliche Männerstimme; beinahe so, als spräche aus ihm sein jüngerer Bruder. Aber er nickt ihr freundlich zu und steckt sein Notizbuch weg. Maria-Carmen lächelt ihn dankbar an.
    Vielleicht hast du recht, sagt der Ältere. Bestimmt hast du recht. Irgendetwas stört mich nur die ganze Zeit, keine Ahnung, was es ist. Keine Ahnung, wie ich es rauskriegen soll. Nur so ein Gefühl.
    Ich würde mir gern noch Ihr Zimmer ansehen, darf ich? Er hat sich sehr plötzlich Maria-Carmen zugewandt.
    Ihr »Ja« ist leise und bescheiden. Zusammen mit den beiden Männern verlässt sie das Zimmer Nummer vierzehn. Auf die Callas und die Palmen im Innenhof fallen schon die ersten Sonnenstrahlen. Es wird ein heißer Tag werden.
    Die Polizisten durchsuchen ihr Zimmer flüchtig, sie sind nicht mehr wirklich davon überzeugt, etwas zu finden. Sie verabschieden sich freundlich von dem Mädchen, das in der Tür stehen geblieben ist und ihnen zugesehen hat. Sie gehen durch den Innenhof zurück an die Rezeption. Maria-Carmen sieht ihnen nach. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glauben, das Päckchen auf ihrem Bauch habe ihr die Haut verbrannt.
    Die Frau, von der Maria-Carmen weiß, dass sie Französisch spricht, heißt Nini. Sie ist alt, siebzig oder achtzig, niemand, wohl nicht einmal sie selbst, könnte sagen, wie alt sie wirklichist. Sie ist vor vielen Jahren auf die Insel gekommen und dort geblieben. Weshalb, weiß Maria-Carmen nicht, und auch die meisten Einwohner der kleinen Stadt haben es inzwischen vergessen. Nini ist klein, hager und grauhaarig. Klein war sie auch schon, als sie kam, aber damals war ihre Haut braun und glatt. Heute ist sie runzlig von der Sonne und ausgedörrt vom Alkohol. In der Stadt weiß man, dass Nini Unmengen von Avocadoöl verbraucht. Sie reibt damit ihr Gesicht und ihren Körper ein. Das Öl hat nicht verhindert, dass ihre Haut runzlig wurde, aber es bewirkt, dass trotz aller Falten so etwas wie ein sanftes braunes Leuchten auf ihrem Gesicht liegt. Ihre schmalen Hände sehen wunderbar gepflegt, ja geradezu elegant aus, wenn sie gegen Abend in die Bar an der Plaza kommt, um den Tag mit einer Anzahl von Gin Tonics zu beschließen, die einem kräftigen Mann durchaus zu schaffen gemacht hätten. Es ist schon eine Weile her, dass Nini in der Schule von San Sebastián Französischunterricht gegeben hat, und noch länger, dass sie im Sommer Kleider in leuchtenden Farben an Touristinnen und im Winter an die Ehefrauen vom Bürgermeister, Hafenkommandanten und Schuldirektor verkauft hat. Beide Tätigkeiten haben ihr einen großen Bekanntenkreis und das Wohlwollen einiger auf der Insel wichtiger Menschen eingetragen. Sie hatte eine fröhliche Art, ihren Schülern die fremde Sprache nahezubringen, und die Kleider, die sie entwarf, waren ungewöhnlich elegant. Sie waren vermutlich heute noch in einigen Schränken zu finden. In Modesachen galt sie eine Weile als Autorität, sodass die Mädchen es ihr nicht einmal übelnahmen, wenn sie sich über ihre Torheiten lustig machte; zum Beispiel, als sie, trotz afrikanischer Hitze, dicke gestrickte Stulpen über die Waden zogen, nur weil sie das in nordeuropäischen Modezeitungen gesehen hatten. Inzwischen aber ist Nini nicht mehr an den Produkten ihrer Glanzzeiten interessiert, sondern mehr und mehr auf das Wohlwollen ihrer Freunde angewiesen. Denn nach dem siebten oder achten Gin kommt es vor, dass sie versucht, von einem der für sie zu hohen Barhocker zu klettern, und dabei abstürzt oder einfach neben dem Tresen zusammensackt. Immer findet sich dann jemand, der die kleine Nini nach Hause bringt. Und weil sie leicht ist und ihre Wohnung nur zwanzig Meter von der Plaza entfernt, beschwert sich auch niemand, wenn er oder sie von dem kleinen Weg an die Bar zurückkommt. Nur eine Bemerkung über den Geruch von Avocadoöl ist dann manchmal zu hören, eine vorsichtige kleine Bemerkung, die man in Ninis

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