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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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geachtet.
    Weshalb kommt der Kellner nicht?, sagte Nissen.
    Grimaud wandte sich um. Er hatte plötzlich das Gefühl, in Vence zu Hause zu sein. Ihm war, als hätte er schon immer mittags unter den Platanen gesessen und der Kellner wäre sein Freund. Wenn er ihm winkte, würde er bestimmt kommen.
    Ich seh mal nach, sagte er. Er stand auf und ging in den Hintergrund des Cafés, wo die Türen zum Restaurant offen standen. Abra strich leicht mit der Hand über Grimauds Glas. Nissen legte seine Hand auf ihren Arm.
    Lass uns warten. Er kommt gleich zurück. Es muss alles ganz normal aussehen, flüsterte er.
    Sie sahen zum Restaurant hinüber, aus dem Grimaud kam, der sich lachend mit einem Kellner unterhielt. Er brachte den Mann mit an ihren Tisch, nahm sein Glas und trank ihm zu.
    Könnt ihr euch vorstellen, dass Emile schon vor fünfundzwanzig Jahren hier gearbeitet hat? Damals noch hier draußen. Inzwischen darf er hinter dem Tresen bleiben. Der Laden gehört ihm jetzt nämlich.
    Nissen und seine Freundin erhoben sich. Sie begrüßten den Wirt, versprachen, wieder vorbeizukommen, und verabschiedeten sich. Niemand sprach davon, dass sie im Hotel verabredet waren. Grimaud und Emile gingen zurück in das Restaurant.
    Du setzt dich dort ans Fenster, sagte Emile. Das ist der Platz für die Ehrengäste. Wir haben eine besonders feine Bouillabaisse, die kriegst du, mein Guter. Und du bleibst sitzen, bis ich Zeit habe. Wir wollen von früher reden.
    Habt ihr hier ein Hinterzimmer, wo ich mich einen Augenblick hinlegen kann?, fragte Grimaud. Mir ist nicht gut, glaube ich.
    Emile sah ihn an. Er sah, dass Grimaud blass geworden war und seine Augen merkwürdig groß aussahen. Er schüttelte den Kopf.
    Nein, sagte er, alles voll mit Kisten. Leg dich unter dem Fenster auf das Sofa. Ich sag Bescheid, dass dich niemand stört.
    Das geht sicher bald vorbei, sagte Grimaud. Ihm war, als käme seine Stimme von sehr weit her und als wäre der Weg zum Sofa endlos. Er hielt seinen Blick geradeaus gerichtet, auf das grüne Dach der Platanen vor dem Fenster. Wie schön, dachte er, wie schön diese Bäume sind. Zuletzt roch er das Leder, als er sich hingelegt und das Gesicht zum Sofarücken gedreht hatte.
    Bella hat damals nach ihrer Rückkehr aus Marseille tatsächlich mit ihrem Freund Kranz gefrühstückt. Was den Schinken betraf, so hatte er nicht übertrieben, und auch seine Informationen, die Vermögensverhältnisse Nissens betreffend, waren aufschlussreich gewesen. Außerdem hatte Kranz eine launige Beschreibung der Atmosphäre im Übersee-Club gegeben, und Bella widersprach ihm nicht, als er am Ende behauptete, die wirkliche Regierung Hamburgs säße dort an der Alster und nicht im Rathaus.
    Was die Angelegenheit Nissen/Grimaud betraf, so war zwischen ihnen schnell klar gewesen, dass es nichts gab außer Vermutungen, die nicht einmal ausgereicht hätten, um die geringste Spur aufzunehmen.
    Später, wenn Bella an Marseille zurückdachte, zu einem Zeitpunkt, als Nini und das Bordell von Mama Rose in ihrer Erinnerung schon sehr viel unbedeutender geworden waren, glaubte sie in manchen Augenblicken plötzlich den Fischgeruch am Alten Hafen wahrzunehmen oder einen dunklen, zusammengerollten Körper auf dem Boden liegen zu sehen. Dann hatte sie für kurze Zeit Lust, nach Marseille zurückzukehren und Klarheit in eine Geschichte zu bringen, in die sie gegen ihren Willen hineingeraten war. Ihrem Freund Kranz fiel es jedes Mal leicht, sie davon zu überzeugen, dass so ein Versuch sinnlos sein würde. Trotzdem war sie nie ganz sicher, ob sie ihm dankbar sein sollte, dass er sie von einer sinnlosen Unternehmung abgehalten hatte, oder wütend darüber, dass sie so leicht zurückzuhalten gewesen war. Ihre Unsicherheit hielt aber nie lange an.
    Kranz machte immer wieder Versuche, sie für ein Leben zu zweit zu gewinnen, und es kostete sie eine gewisse Anstrengung, seine Bemühungen zurückzuweisen. Jedes Mal, wenn er alle ihre Argumente entkräftet hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu sagen: Ich bleib aber lieber allein. Dann schwieg Kranz, und irgendwann glaubte sie, dass er nicht ungern nachgab.
    Ein Spiel, dachte sie dann, wir haben uns auf ein Spiel eingelassen. Und wir sind damit zufrieden.
    Die Nachricht vom Tod Grimauds erreichte sie nie. Dass einPolizist aus Marseille in Vence an Herzversagen verstorben war, hatte als Meldung höchstens für die Lokalblätter Bedeutung.  
    Durch Kranz, der hin und wieder mit Nissen im Übersee-Club

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