Tod in Seide
Während ich auf dem FDR Drive nach Hause fuhr, überlegte ich, ob irgendjemand in der Stadt sei, den ich anrufen und so kurzfristig zu einem Abendessen überreden könnte. Als ich noch einige Blocks von meiner Wohnung entfernt war, ging mein Pieper los. Da ich die Nummer auf der beleuchteten Anzeige nicht kannte, entschloss ich mich, erst von zu Hause aus zurückzurufen.
»Hallo?«, begann ich dann später zögerlich.
Am anderen Ende der Leitung war die Stimme einer älteren Frau mit leichtem Akzent zu hören. »Einen Augenblick.« Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, während sie den Telefonhörer weiterreichte.
»Ja?« Es war Mike Chapmans Stimme.
»Hi. Ich habe deinen Anruf auf dem Nachhauseweg im Auto erhalten.«
»Hey, Coop. Wir haben sie gerade vor einer Stunde identifiziert. Die Haushälterin kam aus dem Urlaub zurück. Sie sagt, dass die Dame des Hauses die ganze Woche hätte hier sein sollen, aber dass niemand sie gesehen hat. Sie sah das Bild in der gestrigen Zeitung, zählte eins und eins zusammen und rief auf dem Revier an. Ich schnappte mir einen der Jungs, und wir sind mit zwei Fotos aus der Gerichtsmedizin gleich hierher geeilt. Die Haushälterin war sofort völlig in Tränen aufgelöst, als sie die Fotos sah.«
»Wer ist …«
»Der Name der Dame ist Denise Caxton. Wohnt – das heißt, wohnte – auf der Fifth Avenue, Hausnummer 890. Schon mal von ihr gehört?«
»Nein. Warum?«
»Sie und ihr Mann besitzen eine Kunstgalerie, selbe Adresse, wo du dir deine Haare ondulieren lässt.«
»Im Fuller Building?«, fragte ich. Madison Avenue, Ecke Fiftyseventh Street – der Nabel der Kunstwelt, wie es die Besitzerin des Friseursalons gerne auszudrücken pflegte.
»Genau dort. Die Caxton-Galerie erstreckt sich über das ganze oberste Stockwerk.«
Während Mike ins Telefon flüsterte, konnte ich im Hintergrund die Unterhaltung zwischen Mikes Partner und der weinerlichen Frau hören. »So ein Apartment hast du noch nicht gesehen – eine Maisonette mit fünf Schlafzimmern und einer Sammlung an moderner Kunst, für die die meisten Museen töten würden.«
»Nun, haben sie’s getan? Und wo ist Mr. Caxton?«
»Die Haushälterin weiß es nicht. Lowell Caxton – Denise hat sich vor ein paar Monaten von ihm getrennt. Sie wohnten noch zusammen – getrennte Eingänge und Wohnbereiche –, aber es gibt keine Anzeichen, dass er in der Stadt ist. Und sie sagt auch, dass nichts darauf hindeutet, dass jemand in der Wohnung war.«
»Soll ich rüberkommen und …«
»Vergiss es. Die gute Perle schmeißt uns gerade raus. Sie will nicht, dass wir uns umsehen oder irgendetwas anfassen. Nicht bevor sie von Monsieur Caxton die Erlaubnis dazu bekommen hat.«
»Irgendwelche Terminkalender, Notizbücher – um die Aktivitäten der Toten zurückverfolgen zu können?«
»Alles im Computer, Coop, und sie lässt uns nicht in das Zimmer oder auch nur in die Nähe des Dings.«
»Kannst du die Wohnung versiegeln, bis ich einen Durchsuchungsbefehl fertig habe?«, fragte ich.
»Darauf kannst du wetten. Falls irgendetwas von dem Zeug hier verschwindet, wird man uns an die Wand nageln. Ein paar uniformierte Jungs sind auf dem Weg hierher, um die Eingänge zu überwachen, damit hier niemand rein- oder rausgeht. Gönn’ dir deinen Schönheitsschlaf, Blondie. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir an der Sache zusammen arbeiten werden. Falls es für jede Million, die hier an den Wänden hängt, ein Motiv gibt, dann haben wir ganz schön zu tun.«
6
»Denk mal eine Minute darüber nach«, drängte mich Chapman. » Rebecca? Häusliche Gewalt. Berüchtigt? Häusliche Gewalt. Das Haus der Lady Alquist? Häusliche Gewalt. Bei Anruf Mord? Häusliche Gewalt. Niagara? Häusliche Gewalt. In jedem deiner Lieblingsfilme wird ein Ehepartner missbraucht, ist dir das klar? Was sagt das über dich, Blondie?«
Ich starrte auf einen Monet im Wohnzimmer der Caxtons. Ich hatte noch nie ein Bild aus der »Seerosen«-Serie in Privatbesitz gesehen, und hier nahm ein herrliches Gemälde, das praktisch so groß war wie das Triptychon im Museum of Modern Art, die ganze Länge der Wand ein.
» Wenn der Postmann zweimal klingelt! Häusliche Gewalt. Frau ohne Gewissen? Häus…«
»Ja, endlich kommst du zu den Guten. Die Frauen schlagen zurück, Mikey. Das sind die Filme, die ich wirklich mag.« Ich ging zu Mercer hinüber, der die Unterschrift in der Ecke eines Gemäldes studierte.
»Sind die echt?«, fragte er mich.
Ich lächelte und
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