Tod in Seide
Eindruck, und auf Grund seines dichten grauen Haars hätte ich ihn nicht älter als fünfundsechzig geschätzt. Er trug noch immer seine Reisekleidung – graue Slacks, mokassinartige Halbschuhe, keine Socken, ein Tennishemd und einen rosa Kaschmirpulli, den er sich um die Schultern geworfen hatte. Sein einziger Schmuck war eine massivgoldene Cartier Pasha an seinem Handgelenk.
Valerie servierte den Tee, wiederum auf einem anderen kleinen Silbertablett. »Machen Sie bitte die Türen hinter sich zu, Valerie«, bat Caxton. Ihre Hände zitterten noch immer, als sie das Zimmer verließ und die Schiebetür schloss, indem sie sie auf beiden Seiten an den Messingknäufen zuzog.
»Erwarten Sie von mir, dass ich Ihnen als Erstes sage, wie sehr ich von Denis Tod betroffen bin? Oder haben Sie in der Presse schon genug Anhaltspunkte gefunden, um zu wissen, dass das nicht der aufrichtigste Auftakt wäre? Selbst in einer Überschallmaschine war der Flug hierher lange genug, um alle Tränen zu vergießen, die ich für sie übrig hatte. Ich habe sie nicht umgebracht, obwohl Sie genug Freunde von ihr finden werden, die Ihnen das Gegenteil nahe legen werden. Aber ich habe sie mit Sicherheit auch nicht mehr geliebt, und das können Sie ruhig von Anfang an wissen.«
»Haben Sie Fragen an uns, bevor ich anfange?«, fragte Chapman.
»Ich weiß, wie und wo sie gefunden wurde, Detective. Nachdem mich Valerie gestern Nacht angerufen hatte, bat ich meinen Assistenten, mir alle Informationen zu besorgen, die er bekommen konnte. Sie werden mir aber sicher sagen, was ich Ihrer Meinung nach noch wissen muss.«
Ich hatte oft genug mit Mike zusammengearbeitet, um zu wissen, was in seinem Kopf vorging. In einer Situation wie dieser drängten sich die Motive für einen Mord des Ehemannes förmlich auf: Geld, geschäftliche Gründe, Untreue, und in diesem Fall noch mehr Geld. In so einer Ehe wäre ein Auftragsmord sicher billiger gewesen als die Unterhaltssumme, die der Richter oder die Geschworenen festlegen würden. Aber gerade weil dieser Gedanke so offensichtlich war, wussten wir auch, dass das zu einfach wäre. Zusätzlich leistete dieser Typ unserer Theorie auch noch Vorschub, indem er nicht einmal großes Interesse daran zeigte, auf welche Art und Weise seine Frau, mit der er sich auseinander gelebt hatte, umgebracht worden war. Wahrscheinlich hatte er mehr Informationskanäle als ich Schuhe.
Mike ging es zunächst um zweierlei: Zum einen musste er so viel wie möglich über die Caxtons erfahren, beruflich und privat, zum anderen wollte er, dass die Schiebetür offen stand, damit uns nicht entging, wenn jemand die Wohnung betrat oder verließ.
»Es ist warm hier drinnen, Mr. Caxton.« Mike stand auf, nahm seinen Notizblock aus der Jackentasche, lockerte seine Krawatte und ging in Richtung Tür. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich die Tür aufmache? Ein bisschen frische Luft …«
Caxton nahm eine Fernbedienung von dem Tisch neben ihm. »Nicht nötig, Detective. Ich reguliere einfach die Zimmertemperatur. Dann ist es hier drinnen viel kühler, als wenn durch die Fenster auf den Park hinaus die Sonne hereinbrennt. Fahren Sie fort. Sagen Sie mir, was Sie wissen müssen.«
Unabhängig davon, wie brauchbar die Informationen letztendlich sein würden, mussten wir uns die Geschichte der Caxton-Familie und wie sie zu ihrem Kunstreichtum gekommen war, genauer ansehen, für den Fall, dass sich da irgendwelche Verbindungen zu dem Mord auftaten.
Lowell Caxton III. war der Enkel des Pittsburgher Stahlmagnaten, dessen Namen er trug. Der Großvater war 1840 geboren und verkörperte eine jener großartigen amerikanischen Erfolgssagas: Aufgewachsen in einer armen, kinderreichen Familie, hatte er sich vom einfachen Arbeiter zum Fabrikbesitzer hochgearbeitet, noch bevor er dreißig Jahre alt war. Als er die große Nachfrage nach Stahl erkannte, die der transkontinentale Eisenbahnbau mit sich brachte, lieh er sich von seiner Familie und seinen Verwandten alles Geld, das sie hatten, und kaufte eine Fabrik. Als 1873 ein anderer junger Bursche namens Andrew Carnegie begann, die Firmen aufzukaufen, die dann später seine Carnegie Steel Company bildeten, musste Lowell Caxton fortan nie mehr wieder arbeiten. Er investierte, spekulierte und betätigte sich als Philanthrop, indem er Carnegie dabei half, im ganzen Nordosten des Landes Bibliotheken und Kunstmuseen zu errichten.
Mitte der 1880er Jahre entdeckte Caxton seine Liebe zur Bohème und zum
Weitere Kostenlose Bücher