Tod in Seide
Fortschritte gestern Abend?«
»Nein. Ich konnte Daughtry nirgendwo erreichen. Die Galerie ist während der Sommermonate sonntags und montags geschlossen, und sein Anrufdienst konnte mir auch nur mitteilen, dass sie ihm mehrmals meine Nachricht weitergeleitet haben. Wir versuchen gerade, seine Privatanschrift herauszufinden, damit wir ihm einen Besuch abstatten können, aber ich warte, bis du oben fertig bist. Hast du die ganze Nacht durchgearbeitet?«
»Nein, ganz so schlimm war’s nicht. Ich war noch vor Mitternacht zu Hause. Ich habe an dem hier gefeilt und dann am Computer einen Durchsuchungsbefehl aufgesetzt, damit er fertig ist, sobald ihr was habt.«
»Nur Arbeit, kein Vergnügen …«
»Fang du nicht auch noch damit an, Mercer. Du bist schon fast so schlimm wie Mike.« Ich suchte meine Aktenmappen zusammen und signalisierte ihm, dass es Zeit war, sich mit mir auf den Weg nach oben zu Marklis’ Gerichtssaal zu machen. »Mir geht’s gut. Ich war das Wochenende allein, weil der Typ, mit dem ich ausgehe, auf Dienstreise ist. Aber danke der Nachfrage.«
Drei Gerichtspolizisten und Rich Velosi, der Gerichtsschreiber, waren die einzigen Leute im Trakt 59. Ich legte meine Akten auf den Tisch der Anklagevertretung und fragte, ob sich der Richter schon gemeldet hatte.
»Ja, Miss Königsberg hat gerade angerufen«, antwortete Rich. Miss Königsberg war die Sekretärin des Richters. »Er ist noch in einer nicht öffentlichen Sitzung und wird erst in ungefähr einer halben Stunde heraufkommen.«
Die Gerichtspolizisten lachten, weil sie wussten, dass »eine nicht öffentliche Sitzung« die Umschreibung dafür war, dass »der Richter noch nicht eingetroffen war.« Aber auch mein Kontrahent war noch nicht da. »Hat man den Gefangenen schon hergebracht?«
»Der ist noch im Kittchen.«
Während ich noch einmal meine Notizen überflog, begann Mercer, sich angeregt mit den Gerichtspolizisten zu unterhalten. Das Gespräch ging von Baseball über Golf zu den ersten Profi-Footballspielen und danach zum Fall Bramwell. »Denkt ihr, Cooper hat eine Chance, dass noch vor dem Labor-Day-Wochenende ein Urteil in dieser Sache gefällt wird?«
»Marklis und ein Urteil fällen? Der Mann hat zwei Toiletten in seinem Ankleideraum, und er braucht in der Regel zwanzig Minuten, bis er sich entschlossen hat, welche er benutzen will. Hängt alles vom Troll-Faktor ab.«
Mercer und ich grinsten. Die Gerichtspolizisten nannten die zierliche Sekretärin, Ilse Königsberg, »den Troll«. Was immer sie Marklis ins Ohr flüsterte, wurde gemacht.
Auf meiner Uhr war es genau achtundzwanzig Minuten nach elf, als Marklis, klein und stämmig, durch die Tür watschelte und seinen Platz auf dem Richterstuhl einnahm, während uns der Gerichtsschreiber zur Ruhe rief und die Anwesenden bat, sich zu erheben. Der Angeklagte war einige Minuten zuvor, als auch sein Verteidiger im Treppenhaus erschienen war, aus seiner Zelle geholt worden.
»Guten Morgen, Gentlemen. Miss Cooper. Geben Sie bitte Ihr Erscheinen zu Protokoll, und dann fangen wir an.«
»Alexandra Cooper, im Namen des Volkes.« Ich sprach mit lauter Stimme und blieb stehen, während Danny Wistenson, der Verteidiger des Angeklagten, dem Stenografen seinen Namen buchstabierte.
»Es ist 9 Uhr 35, und wir setzen die Beweisführung im Fall Bramwell fort.«
Ich warf Mercer über die Schulter einen Blick zu und verdrehte die Augen vor Abscheu. Marklis deckte sein Verhalten seit langem damit, indem er falsche Uhrzeiten zu Protokoll gab. Meine Kollegen und ich hatten ihn deshalb bereits des Öfteren zur Rede gestellt, aber ich wusste, dass ich, falls ich es heute wieder versuchen würde, mir damit mein Grab schaufeln würde. Sein arrogantes Grinsen zeigte mir, dass er sich dessen bewusst war.
»Mir liegen die Unterlagen vor, Miss Cooper, die Sie zur Unterstützung Ihres Molineux -Gesuchs eingereicht haben. Haben Sie dem heute Vormittag etwas hinzuzufügen?« Es war offensichtlich, dass er hoffte, dass dem nicht so sei.
»Ja, Euer Ehren.« Ich stand auf, aber noch bevor ich das Gesetz, mit dessen Hilfe ich meine Beweisführung untermauern wollte, näher darlegen konnte, fuhr Marklis fort.
»Sie wissen, dass bei einem Verfahren Aussagen über eine frühere Straftat des Angeklagten nicht zulässig sind, wenn diese allein dazu dienen sollen zu zeigen, dass der Angeklagte die Neigung zu dem Verbrechen hat, dessen er nun angeklagt ist.«
»Das ist mir bekannt, Richter Marklis.« Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher