Tod in Seide
Schreibtisch und reichte sie Mike. »Ein liebenswürdiger Gentleman. Ein sehr renommierter Kunstrestaurator namens Marco Varelli. Lesen Sie die Todesanzeigen, falls Sie denken, ich würde Sie schon wieder täuschen wollen.«
»Marco Varelli?« Meine Lippen formten den Namen, während Mercer ihn ungläubig wiederholte.
»Wie ist er gestorben?«
»Ein Herzanfall, in seinem Studio. Vierundachtzig Jahre alt. Ich muss jetzt los, um seine Witwe zu trösten.«
15
Battaglia trank Apfelwein und paffte an einer Zigarre, als er mich eine Stunde, nachdem ich mich am Mittwoch Vormittag von Lowell Caxton verabschiedet hatte, in sein Büro winkte. Da er weder die Zigarre aus dem Mundwinkel noch seine Füße vom Schreibtisch nahm, wusste ich, dass der Bezirksstaatsanwalt nicht vorhatte, mich in die Mangel zu nehmen.
»Irgendwelche Fortschritte, was den Mord an dieser Kunsthändlerin angeht?«
»Neue Entwicklungen ja, Fortschritte nein.«
»Ich muss nächste Woche im Justizministerium eine Rede über den Rückgang der Kriminalität in New York halten. Rose ist gerade dabei, sie aufzusetzen. Haben Sie, was Sexualverbrechen angeht, irgendwelche Zahlen für mich parat, die ich verwenden kann?«
»Keine, die Ihnen helfen würden. Vergewaltigung ist das einzige Delikt, das in den letzten drei Jahren auf Grund der vermehrten Meldungen zahlenmäßig angestiegen ist. Lassen Sie besser die Finger von diesen Zahlen, außer Sie sind der Meinung, dass uns das Ministerium mehr Geld geben wird, wenn wir den Anstieg nachweisen können.«
»Was, wenn ich gefragt werde, warum sie nicht wie die anderen Verbrechenskategorien gesunken sind?«
»Das lässt sich einfach erklären. Den Kriminalitätsrückgang verdanken wir hauptsächlich der vermehrten Polizeipräsenz auf der Straße. Den meisten Leuten ist aber nicht klar, dass fast achtzig Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen zwischen Leuten vorkommen, die sich kennen. Der unbekannte Vergewaltiger – der Kerl, der im Park hinter dem Baum hervorspringt oder in die Wohnung einbricht – spielt nur in ungefähr zwanzig Prozent der Fälle eine Rolle. Aber vor dem haben die Frauen die meiste Angst. Während also die Kriminalität auf der Straße drastisch gesunken ist, haben die Opfer von Beziehungstaten herzlich wenig von verstärkten Patrouillen. Sie vertrauen ihren Angreifern und gehen direkt an dem Polizisten vorbei mit dem Mann in die Wohnung, ins Studentenwohnheim oder ins Hotel, wo dann die Vergewaltigung stattfindet.«
Battaglia wendete sich wieder dem Bericht zu, den er gelesen hatte. »Schicken Sie mir bitte bis heute Abend ein Memo darüber. Schmücken Sie es ein bisschen aus, damit ich es in Washington verwenden kann.«
Ich war schon fast zur Tür draußen, als er mir nachrief: »Hey, was ist das mit Ihnen und diesem Nachrichtensprecher, Jacob Tyler? Ich würde ihn gerne kennen lernen. Vielleicht hat er Interesse an einer Story über die Sozialhilfebetrugsabteilung, die wir gerade aufbauen.«
Es war unmöglich, vor Paul Battaglia etwas geheim zu halten. Er musste nicht einmal einen Schritt vor die Tür seines geräumigen Büros im achten Stock setzen, und dennoch war er dank seiner loyalen und talentierten Mitarbeiter stets über alle dienstlichen und privaten Ereignisse bestens unterrichtet.
»Ich werde es ihm sagen, Paul. Darf ich fragen, woher …«
Seine Zigarre, die er zwischen seine Zähne geklemmt hatte, ragte jetzt schnurgerade nach vorne. »Sagen Sie ihm, ich verrate meine Quellen nie. Als guter Reporter wird er das zu schätzen wissen.«
Ich wusste, dass Rose mir sagen können würde, wer Battaglia über meine neue Liebschaft informiert hatte, aber da sie nicht an ihrem Platz war, ging ich zurück in mein Büro.
»Mike ist in der Leitung. Ich habe versucht, ihn zu Battaglias Sekretärin durchzustellen, aber man sagte mir, Sie seien schon auf dem Weg hierher«, sagte Laura.
Ich ging in mein Büro und nahm den Hörer ab.
»Ich habe gerade mit der Gerichtsmedizin gesprochen«, sagte er. »Keine Autopsie von Marco Varelli. War nicht nötig. Er war vierundachtzig und wegen Herzproblemen in ärztlicher Behandlung. Wenn der Hausarzt den Totenschein ausstellt, ist die Sache erledigt. Spätestens bis heute Abend wird er in einem Beerdigungsinstitut in der Sullivan Street aufgebahrt sein. Wir schauen dann dort vorbei, um mit einigen seiner Angestellten oder Freunde zu sprechen. Ich habe mich auch mit den Bundesfritzen über die Ermittlungen bezüglich der Preisabsprachen
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