Tod in Seide
schwer zu erraten, von wem wir unsere Informationen hatten. Wahrscheinlich gefällt es ihr einfach, ein bisschen Spannung zu erzeugen. Sie hat mir erzählt, dass sie früher Schauspielerin war, und ich glaube, sie hat nach wie vor einen Hang zum Theatralischen. Hey, ein bisschen Kultur am Sonntagmorgen kann uns beiden nicht schaden.«
»Unter einer Bedingung: Du lässt mich heute Nacht auf der Couch in deinem Arbeitszimmer schlafen. Sieh es nicht als Babysitten an, sondern dass du mir eine lange Heimfahrt ersparst. Battaglia und der Lieutenant werden sich freuen, und wir kommen morgen Vormittag früh raus.«
»Sie sind der Boss, Detective Wallace. Bekomme ich was zum Essen, bevor Sie mich über Nacht einsperren?«
»Ich habe seit Wochen nicht mehr chinesisch gegessen. Ich hätte so richtig Lust auf Pekingente im Shun Lee Palace. Was meinst du?«
»Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Gib mir ein paar Minuten, ich muss noch einen Anruf machen.« Ich wählte die Nummer meines Hauses auf Vineyard, und Jake hob nach dem ersten Klingelzeichen ab. »Wie ist der Sonnenuntergang heute?«
»Ich sitze mit einem Drink auf der Terrasse und wollte gerade zum Cocktailempfang und zum Essen zu Louise fahren. Wie war dein Tag?«
»Lang. Wir verlassen gerade das Polizeipräsidium. Mercer und ich gehen noch was essen, und dann wird er heute bei mir übernachten. Wir haben morgen Vormittag ein Rendezvous mit einer etwas schreckhaften Zeugin in dem Mordfall.«
»Ich bin froh, dass er bei dir ist. Bis ihr herausgefunden habt, was Sache ist, ist das sicher das Beste. Sag ihm, dass ich schrecklich eifersüchtig bin! Ich ruf dich an, wenn ich heimkomme.«
»Richte bitte allen liebe Grüße von mir aus.«
Mercer und ich fuhren Uptown und genossen das gute Essen und einen ruhigen Abend in dem schönen Restaurant. Wir parkten in der Zufahrt zu meinem Haus, und Mercer legte seine Polizeiplakette hinter die Windschutzscheibe, damit das Auto über Nacht nicht abgeschleppt werden würde. Wir gingen nach oben, machten es uns vor dem Fernseher gemütlich und sahen CNN, bis Jake anrief, um mir von der Party zu erzählen. Ich schaute noch ein bisschen fern, bis ich müde genug war, um gute Nacht zu sagen und ins Bett zu gehen.
Als ich kurz nach sieben Uhr aufwachte, hatte Mercer schon die Zeitung hereingeholt und eine Kanne Kaffee gemacht. »Nicht gerade üppig«, sagte er zu mir, als er einen Blick in den halb leeren Kühlschrank warf.
»Schau ins Gefrierfach. Da ist immer eine Packung English Muffins drin.«
Während ich duschte, taute er die Muffins in der Mikrowelle auf und legte sie auf den Toaster. Wir saßen am Esstisch wie ein altes Ehepaar: Jeder von uns kam verschieden schnell in die Gänge und war hinter dem jeweiligen Lieblingsteil der Sonntagszeitung vergraben. Mercer hatte sich in den Sportteil vertieft, und ich überflog die Buchkritiken, las die »Krimi«-Kolumne, um zu sehen, ob es irgendwelche interessanten neuen Krimiautoren gab, und warf einen Blick auf die Bestsellerlisten.
»Du trinkst deinen Kaffee nicht«, sagte ich.
»Ich hasse dieses aromatisierte Zeug. Das ist was für Mädchen.«
»Es ist kolumbianischer Kaffee mit Zimt. Ich finde ihn herrlich.« Ich nahm den Feuilletonteil und blätterte ihn auf der Suche nach den Ausstellungskritiken durch. »Hier steht was über Focus – wo wir heute Morgen hingehen.«
»Was schreiben sie?« Mercer schüttete den Inhalt seiner Tasse in den Ausguss und suchte in meinen Küchenschränken nach einem anderen Kaffee. »Hast du was dagegen, wenn ich uns eine Kanne dunklen French Roast mache?«
»Natürlich nicht. Hier steht: Focus ist ein ›umwerfender, neuer Ausstellungsraum, in dem Kunstwerke für längere Zeit zu sehen sein werden, die wegen ihrer Größe und Masse wahrscheinlich nicht in den herkömmlichen Museen unterkommen.‹ Offensichtlich war die Galerie, wie alles andere in der Gegend, früher ein Lagerhaus. Sie ist riesig – über viertausend Quadratmeter.«
»Ist sie schon auf?«
»Scheint nicht so. Die Eröffnung ist für die erste Septemberwoche angekündigt.«
»Wem gehört die Galerie?«
Ich überflog den Artikel. »Das steht hier nicht. Der Artikel beschreibt vor allem, was dort zu sehen sein wird, warum sie gebaut wurde, wie ungewöhnlich sie ist.« Ich las weiter. »Hey, wir haben Glück. Schon mal von Richard Serra gehört?«
Mercer schüttelte den Kopf.
»Er ist wahrscheinlich der bedeutendste lebende Bildhauer. Vor einiger Zeit war mal im
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