Tod in Seide
Museum of Modern Art eine Ausstellung von ihm. Seine Arbeiten sind für die Eröffnung aufgestellt. Hört sich außergewöhnlich an. Soll ich es dir vorlesen?«
»Klar.« Mercer hatte sich wieder hingesetzt und wartete darauf, dass der Kaffee fertig wurde. Er griff wieder nach dem Sportteil, während ich versuchte, ihm die Ausstellung in der Galerie zu beschreiben.
»Sie heißt Torqued Ellipses VI. Das Konzept entstand auf Grund Serras Faszination für Schiffe und Stahl. Machst du gerade einen auf Mike Chapman, oder hörst du mir zu?«
Mercer ließ die Zeitung sinken, und ich zeigte ihm das Foto der massiven Stahlplatten, die über vier Meter hoch und mehrere Zentimeter dick waren.
Er war beeindruckt. Die Stücke sahen ungeheuer schwer und wie gebogene Rümpfe dreier Ozeandampfer aus, die in eine Hand voll Stücke unterteilt und wie ein riesiges Labyrinth auf dem Boden des renovierten Raumes ausgelegt waren. Die Skulptur nahm mehr als siebenhundert Quadratmeter ein.
»Ich dachte, du redest von winzigen, kleinen Skulpturen. Diese Dinger sehen wie der Unterbau der Titanic aus. Wie macht er das?«
»Sie schreiben, dass Serra jedes Walzwerk auf der Welt kontaktiert hat, bis er auf einer Werft namens Beth Ship in der Nähe von Baltimore eine Maschine fand, die während des Zweiten Weltkriegs verwendet worden war und die diese riesigen Stahlplatten rollen und verarbeiten konnte. Jede von ihnen wiegt zwanzig Tonnen.«
»Da hat Miss Sette wohl einen guten Ort für unsere Unterhaltung ausgesucht. Sie kann uns sicher was über die Besitzer der Galerie sagen. Müssen Freunde von ihr sein, wenn sie ihr erlauben, das Büro zu benutzen.«
Ich ging ins Badezimmer, kämmte mir schnell die Haare und legte etwas Lippenstift auf. Ich trug einen Leinenanzug und Ballettschuhe, leger, aber professionell. Es war heute Morgen bedeckt, und wegen der Klimaanlagen würde es im Auto und in der Galerie wahrscheinlich eher kühl sein.
Es war kurz vor neun Uhr, als Mercer und ich in die ruhige Straße einbogen. Hier gab es keine Wohnhäuser, dafür ein paar Lagerhäuser, die noch in Betrieb waren, und vier Galerien, die an einem Sonntag im Sommer, wenn überhaupt, wahrscheinlich nicht vor ein Uhr nachmittags aufmachen würden. Während Mercer parkte, deutete ich auf die mit Gras bewachsenen Gleise der Hi-Line Railroad, die quer über die Twentyfirst Street verliefen. Es überraschte mich immer noch, dass bis letzte Woche weder Mercer noch ich die Gleise je bemerkt hatten.
Der Eingang zu der neuen Galerie war ziemlich dezent; ein rechtwinkliges weißes Schild, auf dem in sehr kleinen schwarzen Buchstaben Focus stand, war alles.
Mercer legte seine Hand auf den Türknauf, in der Erwartung, dass die Tür geschlossen sei. Sie gab jedoch sofort nach, und wir betraten den nur spärlich beleuchteten Raum. Eine junge Frau kam uns entgegen und bat uns einzutreten. »Guten Morgen«, sagte sie. »Ich habe Sie schon erwartet.«
Ich erkannte sie sofort als die junge Rezeptionistin wieder, die uns am Donnerstag in Bryan Daughtrys Galerie empfangen hatte, als wir dort mit unseren Durchsuchungsbefehlen aufgekreuzt waren. An das Gesicht erinnerte ich mich weniger als an die vier Silberknöpfe in ihrem rechten Ohr, die drei in ihrem linken und an den kleinen Ring, mit dem eine ihrer Augenbrauen gepierct war.
»Ist Miss Sette schon hier?«, fragte Mercer.
»Ich bin mir nicht sicher, wer genau kommt, aber Sie sind die Ersten. Man hat mir nur gesagt, ich solle die Galerie aufsperren und die Polizisten hereinlassen. Sehen Sie sich ruhig um. Ich bin an der Tür, falls Sie etwas brauchen. Ich hoffe, Sie sind nicht seekrank.« Sie lächelte mich an. »Es ist wirklich ein komisches Gefühl, sich zwischen diesen Dingern aufzuhalten.«
Mercer und ich standen an der Vorderseite der ersten Skulptur, die sich wie der Bug eines großen Öltankers vor uns auftürmte. Ich ging um die Ecke und stand im Eingang zu der Skulptur, zwischen zwei Enden der ersten Ellipse. Als ich mich zu Mercer umdrehte, musste ich lachen, so ungewöhnlich war der Anblick, dass er neben einem Objekt so klein wirkte.
»Wie fühlt man sich da drinnen?«
Ich ging zwischen den riesigen gebogenen Stahlwänden zur anderen Seite. Sofort wurde einem schwindelig und seltsam zu Mute. Ich war mir bewusst, dass ich mich auf einer ebenen Oberfläche befand, aber wegen der Anordnung der einzelnen Teile hatte man das Schwindel erregende Gefühl, dass mit den Größenverhältnissen etwas nicht stimmte.
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