Tod in Seide
Zu meiner Linken bog sich die über vier Meter hohe Wand nach oben hin nach außen. Die Wand zu meiner Rechten neigte sich nach innen und wenn man nach oben sah, hatte man den Eindruck, als ob die gesamte Stahlkonstruktion bei der geringsten Berührung auf einen drauffallen würde.
»Wow, komm hier rein, Mercer. Das ist der Wahnsinn. Jetzt verstehe ich, was sie gemeint hat – es ist eine fast unheimliche räumliche Illusion.«
Mercer blieb am Eingang zu der Skulptur stehen, während ich weiterging. Ich wollte um die erste Ellipse herum zur zweiten gehen, in der die Stahlwände genau andersherum arrangiert waren. Jede der insgesamt fünf Skulpturen hatte einen anderen Neigungswinkel. Mercer holte mich im Innern der dritten Figur ein und lehnte sich gegen eine Wand, deren Form das genaue Gegenteil der vorhergehenden war.
»Lehn dich nicht dagegen«, sagte ich halb im Spaß. »Meint man nicht, sie würde einstürzen und uns mit einem Schlag unter sich begraben?«
Mercer war von der Beschaffenheit der riesigen Stahlplatten fasziniert und blieb stehen, um mit der Hand über die Wände zu fahren. »Die hier fällt nirgendwo hin, Alex. Das ist ja, als ob man eine ganze Flotte Schlachtschiffe hier hereingeholt hätte. Der Mann ist ein Genie.«
Er stutzte, als am Eingang des ehemaligen Lagerhauses ein Geräusch zu hören war. »Hast du das gehört?«
»Hörte sich an, als ob die Tür ins Schloss fiel. Wahrscheinlich ist sie da. Lass uns zu ihr gehen.« Ich setzte mich in Richtung des Ausgangs der Ellipse in Bewegung.
»Halt. Ich spreche von dem Geräusch, nachdem die Tür ins Schloss fiel.«
»Ich habe nichts gehört. Ich muss gerade etwas gesagt haben.«
»Warte hier, Alex. Lass mich nachsehen, wer gekommen ist.«
Mercer ging an mir vorbei und signalisierte mir stehen zu bleiben, dann verschwand er aus meinem Blickfeld.
Ich vernahm, wie sich das Klacken seiner hartbesohlten Halbschuhe auf dem Betonboden von mir entfernte. Dann hörte ich, wie er »Hallo« rief, einmal, dann noch einmal, aber die Worte hallten ohne Antwort durch den großen Raum.
»O Scheiße!«, schrie er plötzlich auf. »Bleib stehen, Alex, bleib da drin. Ich hole dich.«
Nach seinem Ausruf hatte ich angefangen zu laufen und »Was?« geschrien, aber auf seinen Befehl hin blieb ich stehen.
Ich hatte mich im Innern der gewundenen Ellipse um die eigene Achse gedreht und war mir nicht mehr sicher, wo vorne oder hinten in der Galerie war. Ich hörte das Geräusch von Mercers Schuhen und von der entgegengesetzten Seite ein anderes, weicheres, vielleicht von Gummisohlen, näher kommen. In der Skulptur konnte ich mich nirgends verstecken, und ich hatte keine Ahnung, ob sich hier tatsächlich im hinteren Teil der Galerie ein Büro befand und wenn ja, ob es geschlossen oder offen war.
Ich stand da wie festgenagelt. Meine Augen hatten sich an das düstere Licht und den fehlenden Kontrast zwischen den grauen Stahlkolossen und den Wänden und Decken gewöhnt. Mein gelber Leinenanzug hob sich gegen die dunklen Wände so deutlich ab wie das Schwarze in einer Zielscheibe. Mein Kopf ruckte hin und her, da ich nicht wusste, aus welcher Richtung Mercer kommen würde.
Im selben Moment, als ich Mercers Hand die Kante einer der Ellipse umklammern sah, hörte ich ihn schreien: »Alex, RUNTER! Schnell!« Der Schuss, den er aus seiner Waffe auf jemanden, den ich nicht sehen konnte, abfeuerte, hallte wie ein Kanonenschuss durch den Hohlraum zwischen den Skulpturen.
Ich stellte mich hin, als ob ich auf dem Startblock einer Schwimmstaffel stehen würde und streckte meine Fingerspitzen nach vorne, um sofort bereit zu sein, wenn mir Mercer die nächste Anweisung gab. Sein Schuss wurde von zwei oder drei Schüssen erwidert, die, als ich mich duckte und hinkauerte, auf Höhe meines Kopfes von den Stahlwänden abprallten.
Mercer griff mit seiner linken Hand um die Skulptur herum, und ich bewegte mich auf sie zu. Er packte mich am Handgelenk, und wir liefen zu einer der anderen Skulpturen. Mercers wuchtige Gestalt gab mir Deckung, als wir vergeblich nach etwas suchten, wohinter wir uns hätten verstecken können.
»Es ist dein Strumpfhosenkerl aus dem Parkhaus«, flüsterte er. Er atmete tief durch und kontrollierte die Waffe, die er normalerweise in einem Halfter am Knöchel trug.
»Das Mädchen?« Ich wusste die Antwort, noch bevor ich die Frage stellte.
»Tot.« Er spitzte die Ohren, als ob er etwas gehört hätte. Nichts. »Wenn ich dir ein Zeichen gebe, rennst du
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