Tod in Wolfsburg (German Edition)
Johanna den Faden wieder auf. »Immerhin dürften es von der
Diskothek bis zur Unglücksstelle schätzungsweise circa zwei Kilometer sein.«
»So ist es. Klingt ein bisschen unwahrscheinlich.«
»Die Party kann aber auch erst unterwegs so richtig in Schwung
gekommen sein«, überlegte die Kommissarin. »Vielleicht hat sie einen
Spaziergang mit dem Jungen gemacht, den sie vorher in der Disco kennengelernt
hatte, wie die Mädchen ausgesagt haben, und währenddessen wurde ein Großteil
der Drogen konsumiert, dann hatten die beiden Sex oder zwischendurch, und der
Junge ist anschließend …«
»Möglich, möglich, doch apropos nächtliches Date und Sex«,
unterbrach Reitmeyer Johanna. »Kasimir ist sich ziemlich sicher, dass Karen
auch K.-o.-Tropfen genommen beziehungsweise bekommen hat, die sie, wie ich
Ihnen kaum zu erläutern brauche, zusätzlich willen-und wehrlos gemacht haben
dürften. Die Substanz ist innerhalb der ganzen Mixtur nicht einfach
nachzuweisen, aber zumindest konnte er Spuren feststellen.«
»Wollen Sie andeuten, dass demnach statt des kuscheligen
Techtelmechtels auch eine Vergewaltigung in der Nähe der Bahngleise
stattgefunden haben könnte?«
Reitmeyer nickte langsam. »Das halte ich für vorstellbar.«
»Es gab keine Spuren, zumindest nichts Verwertbares. Allerdings hat
es geregnet. Warum hat niemand irgendetwas beobachtet?« Wer sollte nachts am
Mittellandkanal kurz vor Vorsfelde etwas beobachten? Johanna klopfte mit der
Mine ihres Stifts auf die Tischplatte. »Ich muss mit dem Gerichtsmediziner
sprechen.«
»Im Moment ginge das nur per Handy – er ist im Urlaub. Ich werde ihn
bitten, Sie zu kontaktieren.«
»Unbedingt – nach Möglichkeit noch heute!«
»Ich sehe, was ich machen kann.«
Johanna leerte ihre Tasse und stellte sie aufs Tablett. »Danke,
Staatsanwalt Reitmeyer. Ich muss wieder los. Falls ich noch …«
»Natürlich. Halten Sie mich auf dem Laufenden – bitte!«
Johanna stand auf, schnappte sich ihre Sachen und eilte nach kurzem
Händeschütteln davon. Als sie an der Rolltreppe stand, warf sie einen Blick
zurück. Reitmeyer zwängte sich gerade aus seinem Stuhl. Ein Typ wie Dieter
Pfaff, dachte Johanna. Kaum hatte sie die Türen des Citypoints hinter sich
gelassen, nahm sie ihr Handy heraus, stellte sich ein Stückchen abseits und
wählte Jürgen Reinders Nummer.
»Hallo, Kommissarin Krass«, meldete der sich auf ihre knappe
Begrüßung. »Was kann ich für Sie tun?«
Das wird sich noch zeigen, dachte sie und hatte nicht übel Lust, den
Wolfsburger Kripobeamten mit einer Kostprobe ihres in eingeweihten Kreisen
überaus gefürchteten Sarkasmus bekannt zu machen. Andererseits musste sie sich
fragen, ob der Energieaufwand wirklich sinnvoll war, und außerdem konnte es
sich als Bumerang erweisen, zu einem so frühen Zeitpunkt bereits handfeste
Konflikte mit der örtlichen Dienststelle auszufechten. Eine weise Einsicht,
nur: Diplomatie und Gelassenheit waren die Eigenschaften, die Johanna nie
besessen hatte und um die sie immer wieder und in jeder Situation neu ringen
musste. Johanna biss die Zähne zusammen und hielt ihr Gesicht für einen
Augenblick in die goldene Herbstsonne.
»Zum einen möchte ich, dass Sie mir den abschließenden Bericht von
Dr. Kasimir zur Verfügung stellen«, erklärte sie dann.
»Ach? Befand der sich nicht bei den Unterlagen, die ich Ihnen
zusammengestellt und gestern ausgehändigt habe?«
Der unschuldig fragende Tonfall machte abrupt sämtliche Bemühungen
Johannas zunichte, sachlich und ruhig zu bleiben.
»Sonst würde ich wohl kaum so dämlich nachfragen, oder?«
Reinders konnte froh sein, ihr in diesem Moment nicht
gegenüberzustehen.
Stille. Räuspern. »Na ja, tut mir leid, dann habe ich den wohl
vergessen.«
»Sieht ganz so aus.« Idiot, fügte sie im Stillen hinzu. Für wie blöd
hältst du mich eigentlich? »Außerdem benötige ich noch diese und jene
Informationen, an die Ihre Dienststelle einfacher rankommt. Damit möchte ich
aber nicht Sie persönlich belasten.« Ihre Stimme triefte vor Ironie. »Ich
schlage vor, dass Sofia Beran mich in nächster Zeit hin und wieder
unterstützt.«
»Aber …«
»Oder gibt es da irgendwelche Dienstwege einzuhalten? Aber
schließlich geht es ja nur um einige Tage.«
»Na ja …«
»Sie haben schließlich Wichtigeres zu tun, als den Handlanger und
Telefonisten für mich zu spielen, oder?« Auf dem Fuß konnte man die meisten
Männer relativ gut erwischen.
»So gesehen haben Sie natürlich
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