Tod in Wolfsburg (German Edition)
Unfällen nicht mit rechten Dingen
zugegangen ist, gibt es einige Aspekte, die bislang ohne Beachtung geblieben
sind.« Reitmeyer sah sie kurz an, als erwarte er eine Unterbrechung, und schob
erneut seine Brille zurecht, als Johanna nichts sagte. »Dieses Mädchen, das
Frau Milbert beschuldigt, Philippa Hummel, ist vor gut einem Jahr in einem
anderen Zusammenhang schon einmal polizeilich aufgefallen, wie sich bei einer
gründlichen internen Überprüfung herausgestellt hat.«
Johanna griff nach ihrem Rucksack und nestelte nach Stift und
Notizheft. Reitmeyer legte die Hände vor sich auf den Tisch und verschränkte
sie ineinander.
»Sie wurde gemeinsam mit drei anderen Mädchen hier in Braunschweig
bei Karstadt von der Kaufhausdetektivin Sandra März beim Stehlen beobachtet und
ist geschnappt worden. Die anderen drei konnten leider entwischen«, berichtete
er. »Nicht weiter aufregend – auf den ersten Blick. Aber am Abend ist die
Ladendetektivin auf dem Heimweg überfallen und brutal zusammengeschlagen worden
– von den vier Mädchen, die ihr am Nachmittag aufgefallen waren, sagte sie
zunächst eindeutig aus, als die Polizei eintraf, die Passanten alarmiert
hatten. Philippa war damals knapp vierzehn, die anderen hatte die Detektivin
altersmäßig ähnlich eingeschätzt, vielleicht ein Jahr älter. Sandra März war
übelst zugerichtet. Sie zog ihre Anzeige wenige Tage später übrigens zurück,
Grund: Sie hätte sich geirrt, sie sei von Wildfremden überfallen worden, die
ihr zuvor noch nie begegnet waren.«
»Oh.«
»Soweit ich weiß, hat ihr Arbeitgeber, eine Securityfirma, sie in
ein anderes Kaufhaus und in eine andere Abteilung versetzt«, ergänzte
Reitmeyer. »Ich schätze, dass das auf ihren eigenen Wunsch hin geschehen ist.«
»Liege ich richtig mit meiner Vermutung, dass Philippa Hummel Ihnen
nicht so unbeteiligt scheint, wie sie Reinders vorkommt?«, fragte Johanna,
während sie sich Notizen machte.
»Ich finde, dass es hier ein paar Zufälle zu viel gibt, und ich
würde mich nicht sonderlich wundern, wenn sich herausstellt, dass die drei bei
Karstadt entwischten Mädchen zu dem Quartett gehören, das gemeinsam in der
Nacht des Zugunglücks mit Karen in dieser Technodisco war. Was natürlich noch
gar nichts heißen muss, aber durchaus stutzig machen darf, insbesondere im
Hinblick auf den brutalen Überfall auf die Ladendetektivin. Außerdem
interessiert mich in dem Zusammenhang zum Beispiel auch, wo die Drogen
herkamen, die Karen genommen hatte.«
»Gibt es denn Aufnahmen von dieser Klauaktion?«
»Ja, und Philippa ist richtig gut getroffen, aber die anderen stehen
leider zu weit abseits, als dass man mehr als ein paar Beine erkennen könnte.«
»Schade, schade.«
»Das finde ich auch.«
Johanna malte ein paar Kringel in ihr Heft. »Weiß eigentlich
Reinders von der Kaufhaussache?«
»Lassen Sie es mich so ausdrücken – er müsste und könnte davon
wissen.«
»Verstehe.« Johanna verzog keine Miene. Die üblichen Spielchen, wenn
sich zwei oder gar drei nicht grün waren und noch die eine oder andere Rechnung
zu begleichen hatten. Johanna könnte ganze Romane darüber schreiben. Wollte sie
aber nicht.
Reitmeyers Augen funkelten plötzlich amüsiert. Dann räusperte er
sich und wurde wieder ernst. »Ein zweiter Punkt ist das Ergebnis der
gerichtsmedizinischen Untersuchung.«
Johanna atmete tief durch.
»Der Drogencocktail, den die Kleine intus hatte, war mehr als
heftig. Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass sie damit noch ein
paar Schritte durch die Gegend gewankt ist – jeder Organismus reagiert ja
individuell, aber …« Reitmeyer wiegte den Kopf einige Male hin und her.
»Kasimir ist da äußerst skeptisch …«
»Kasimir ist der Name des Rechtsmediziners?«
»Richtig – Dr. Thomas Kasimir vom gerichtsmedizinischen Institut in
Hannover.« Reitmeyer stutzte. »Hat Reinders Ihnen denn keine Kopie des
abschließenden Untersuchungsberichts ausgehändigt?«
Johanna notierte sich den Namen und sah langsam wieder hoch. »Nein.
Nein, hat er nicht …« Sie hörte selbst, dass ihre Stimme plötzlich frostig
klang. »Da gibt es wohl Klärungsbedarf – in Wolfsburg.« Sie hätte Reinders
jetzt gerne ein paar Takte gesagt – unter vier Augen und nicht im Flüsterton.
»Verstehe.« Reitmeyer nickte zufrieden.
»Also, Dr. Kasimir meint, dass das Mädchen mit der Mixtur keine
langen Spaziergänge mehr in den Allerwiesen oder am Kanal entlang unternommen
haben konnte?«, nahm
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