Tod in Wolfsburg (German Edition)
auf ihn. Er sah nur ihre Silhouette, und einen Moment lang war er
davon überzeugt, dass Rabea an der Tür stand. Er lächelte, obwohl nicht
abgesprochene Treffen eigentlich tabu waren.
»Heh«, wisperte sie in der Dunkelheit. »Sei nicht sauer, aber ich
musste dich einfach sehen.«
Die Enttäuschung stieg wie ein Ballon in ihm auf – für einen
Augenblick so bedrängend, fast schmerzvoll, dass er selbst verwundert war.
»Was willst du hier, Philippa?«
»Na, rate mal?« Sie trat ihm entgegen und wollte ihn umarmen.
Er wich ihr aus und griff nach seinem Schlüssel. »Das geht nicht,
Kleine. Ich hab noch zu tun, und du gehörst ins Bett.«
»Unbedingt. Aber nicht allein.« Sie kicherte.
Er schob sich an ihr vorbei, schloss die Tür auf und versperrte sie
mit seinem Körper. »Geh nach Hause, Philippa.«
»Ach, sei doch nicht so!«
Er konnte hören, dass sie einen Schmollmund machte. »Doch, Kleine,
geh nach Hause …«
»Sag nicht dauernd Kleine zu mir!«
»Du bist noch klein, Philippa. Und jetzt hör auf zu nerven.«
»Wenn du dich da mal nicht täuschst. Immerhin bin ich nicht zu
klein, um dir einen runterzuholen, stimmt’s?«
Er atmete tief ein. Sie war ein kleines, scharfes Kind-Luder, und
sie spielte die erfahrene Frau, was bestenfalls lächerlich war.
»Was ist – keine Lust?«
»Nein, geh nach Hause! Wie oft soll ich dir das jetzt noch sagen?«
Mit zwei Schritten war sie bei ihm und fasste ihm in den Schritt.
»Heh, du hast sehr wohl Lust.« Sie lachte mit rauer Stimme. »Was ist los?
Neulich warst du nicht so schüchtern. Hat sie es dir verboten?«
Er packte ihre Hände mit festem Griff.
»Schon besser«, flüsterte sie.
Wut über ihre unverschämte Art begann in ihm hochzukochen. Er
wusste, dass er sich nicht provozieren lassen durfte, denn dann wäre sie in
null Komma nichts am Ziel ihrer Wünsche.
»Schluss jetzt!«, herrschte er sie an.
»Och …!«
»Hau ab, Philippa!«
Plötzlich machte sie einen Schritt zurück. »Warum? Sag mir warum? So
jung bin ich nun auch wieder nicht. Ist es wegen Rabea?«
Stille. »Ja, es ist wegen Rabea.« Er knipste das Licht im Hausflur
an. »Und jetzt mach dich endlich vom Acker! Oder willst du wirklich, dass ich
dich ficke, weil du mich anmachst wie ein Flittchen, während ich an sie denke,
weil ich sie liebe?«
Das hatte er gar nicht sagen wollen, aber plötzlich war der Satz
heraus, und er traf Philippa mitten ins Herz. Er traf ihn selbst mitten ins
Herz. Sie starrte ihn einen Moment mit hasserfüllten Augen an, dann drehte sie
sich um und rannte davon.
21
Johanna entschied sich spontan, mit der gemeinsamen Vernehmung
von Nelli und Lola zu beginnen, während Philippa und Rabea getrennt voneinander
warten mussten. Kommissar Reinders war bereits mit seinem Team unterwegs und
leitete die Hausdurchsuchungen. Er war auffallend bleich und wortkarg gewesen, als
er Johanna am frühen Morgen begrüßt hatte. Ein Beamter war damit beschäftigt,
Lolas Mutter und Nellis Vater zu beruhigen und davon zu überzeugen, dass trotz
der frühen Stunde bei der Befragung ihrer Kinder alles mit rechten Dingen
zuging und es viel sinnvoller war, zu Hause auf ihre Rückkehr zu warten. Rabea
war genau wie Philippa ohne Begleitung in die Dienststelle gebracht worden.
Rabeas Mutter hatte alkoholisiert im Bett gelegen und war nicht zu wecken
gewesen, während Philippas Eltern bereits zur Frühschicht aufgebrochen waren.
Natürlich mussten sie so schnell wie möglich über den Verbleib ihrer Tochter
informiert werden. Allerdings hatte Johanna nicht vor, sich deswegen graue
Haare wachsen zu lassen.
Sofia Beran brachte Nelli und Lola ins Vernehmungszimmer, stellte
Wasser und Kaffee auf den Tisch und bereitete das Aufnahmegerät vor, bevor sie
sich etwas abseits auf einen Stuhl an der Tür setzte. Johanna legte ihre
Unterlagen bereit und sah über die Kaffeetasse hinweg auf die noch
schlaftrunkenen und zugleich beunruhigt wirkenden Gesichter der Mädchen.
Offensichtlich war die Überraschung gelungen. Keine wusste, was geschehen war.
Johanna stellte ihre Tasse ab. Sie sparte sich ein einleitendes Lächeln,
sondern nickte beiden nur zu.
»Wir haben uns letztens schon ein wenig unterhalten«, begann sie
leise. »Es ging um Karen. Es geht immer noch um Karen, unter anderem.«
Nelli stützte die Unterarme auf den Tisch. »Aber wir haben Ihnen
doch schon alles gesagt.« Sie warf Lola einen Blick zu, die eilig nickte. »Allerdings.
Und nun lassen Sie uns mitten in der Nacht aus
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