Tod in Wolfsburg (German Edition)
es
unten ein zweites Bad neben dem Elternschlafzimmer gibt, bestand keine
Veranlassung, überhaupt noch nach oben zu gehen …«
Johanna nickte. Einer der Kriminaltechniker kam zur Tür herein –
sein Gesicht war grau vor Müdigkeit.
»Die Leiche kann jetzt in die Gerichtsmedizin. Möchten Sie noch mal
…?«
Sie folgte ihm, ohne zu antworten, ins Bad. Gesicht und Arme des
Mädchens waren kalkweiß. Betty hatte sich nicht ausgezogen und sich auch nicht
ins warme Wasser gelegt, sondern lediglich Hände und Unterarme frei gemacht.
Wahrscheinlich hat sie befürchtet, mit dem Geräusch einlaufenden Wassers die
Eltern auf den Plan zu rufen, überlegte Johanna. Sie wollte auf keinen Fall
vorher gefunden werden.
»Was meinen Sie ungefähr, wie lange sie schon tot ist?«, wandte sich
Johanna an den Mann.
»Ich schätze, vier bis höchstens fünf Stunden – Genaueres kann aber
erst die Gerichtsmedizin feststellen.«
Johanna blickte auf den Mailausdruck in ihren Händen. Die Nachricht
war um kurz nach ein Uhr gesendet worden, gelesen hatte die Schwester sie
ungefähr drei Stunden später. Das passte. Sie sah wieder hoch und dann dem
Mädchen für einen Moment ins Gesicht. Lange ertrug sie den Anblick nicht. Zwei
Sekunden, vielleicht drei – die war sie ihr schuldig.
Plötzlich stand Beran neben ihr. »Kaffee?«
»Ja, danke, gerne, und ein paar Minuten Ruhe, damit ich die Mail
lesen kann. Und bitte erinnern Sie mich später daran, dass ich mit Dr. Kasimir
spreche – er muss Bettys Untersuchung unbedingt vorziehen.«
Johanna setzte sich an Bettys Schreibtisch, und keine Minute später
drangen die Gespräche und Geräusche der Polizisten kaum noch an ihr Ohr. Von
weit her hörte sie noch jemanden weinen und klagen, aber sie dachte keine
Sekunde darüber nach. Bettys Schilderungen nahmen sie völlig gefangen. Kaltes
Entsetzen breitete sich in ihr aus, gefolgt von Wut und Verzweiflung.
Schuldgefühlen. Hätte sie besser aufpassen müssen, können, sollen? Hätte sie
den Tod dieses Mädchens verhindern können? Warum, weshalb, wieso. Eine Viertelstunde
später reichte Beran ihr ungefragt einen weiteren Becher Kaffee. Johanna
drückte ihr die Seiten in die Hand.
»Ich will, dass alle vier sofort zur Vernehmung auf die Dienststelle
gebracht werden«, sagte sie leise. »Handys und PC s
sicherstellen – Kiesel soll sich sofort an die Arbeit machen –, Zimmer
beziehungsweise Wohnungen durchsuchen, insbesondere nach Drogen, und keine
Telefonate zulassen. Um es klarzustellen – ich will das große Programm, das
ganz große! Wenn du die Mail gelesen hast, verstehst du warum.« Das Du war ihr
so rausgeschlüpft. Sie nahm es nicht zurück.
Beran starrte sie einen Moment stumm an. Sie fragte nicht, welche
vier gemeint waren. Dann fing sie an zu telefonieren.
20
Ohne Zweifel – sie war süß. Süß, knackig, jung. Viel zu jung. Es
war ein Fehler gewesen, ihr Hoffnungen zu machen, ihr an die Wäsche zu gehen
und zuzulassen, dass sie an seine ging, und zwar nicht nur weil Rabea dagegen
war, sondern weil sie recht hatte.
»Sie ist zu jung für dich, zu wild und nicht zuverlässig genug«,
hatte sie gesagt. »Sei vernünftig und denk ans Geschäft.«
»Ich versuche es.«
»Das reicht nicht. Lass die Finger von ihr.«
»Okay, okay. Aber wie wäre es dann endlich mit uns beiden? Ich käme
sofort auf andere Gedanken«, hatte er erwidert.
Das war halb im Scherz, halb ernst gemeint, und er war selbst
erstaunt über seine offenen Worte. Sie hatte nicht mal gelächelt, geschweige
denn geantwortet, aber das Funkeln ihrer grünen Augen verfolgte ihn bis in den
Schlaf. Er hoffte, dass sie eifersüchtig war, er wünschte es sich, aber er
ahnte, dass Rabea derlei Gefühle gar nicht erst zuließ – selbst wenn sie hin
und wieder eine gewisse Anziehungskraft zwischen ihnen spüren sollte.
Rabea war auch erst siebzehn, aber manchmal kam sie ihm reif vor wie
eine Dreißigjährige, viel reifer und umsichtiger als er selbst, und es gab
Augenblicke, da verzehrte er sich förmlich nach ihr, ohne dass er die richtigen
Worte für seine Gefühle fand oder sich gegen sie wehren konnte. Rabea war die
einzige junge Frau, mit der er schlafen wollte: zärtlich, hingebungsvoll,
sanft. Andere wollte er vögeln und wieder andere mit Gewalt nehmen, um ihnen
klarzumachen, wer das Sagen hatte.
Wenn er Dienst in der Diskothek hatte, schlief er im Dachzimmer des
Nachbarhauses über dem Spielclub. In dieser Nacht wartete sie am unbeleuchteten
Hintereingang
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