Tod in Wolfsburg (German Edition)
hierherbringen? Nein, sie schämt sich für
ihre Mutter, die Säuferin. Hat sie ja vielleicht auch recht.« Die Frau zündete
sich eine Zigarette an und inhalierte tief. »Ja, doch, ich kann sie verstehen.
Würd ich wahrscheinlich auch. Wer will schon so eine Mutter?« Sie zuckte mit
den Achseln. »Na ja, Rabea ist schon immer … ungewöhnlich gewesen, aber ich
glaub nicht, dass sie wirklich … Drogen? Leute verprügeln? Tote Mädchen?
Schwachsinn.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie konnte sich schon immer wehren, ja,
das stimmt. Der hat niemand die Butter vom Brot genommen. Und sie ist
verschlossen. Eigensinnig. Nicht so wie meine Söhne. Aber Jungs sind sowieso
anders.« Solga winkte ab. »Die binden sich anders an ihre Mutter, und mein
erster Mann war auch anders, ganz anders, verstehen Sie?«
Johanna nickte, obwohl sie ganz und gar nicht wusste, was Rabeas
Mutter damit sagen wollte. Solga streifte die Asche ab und strich mit der
anderen Hand fast zärtlich über die Bettdecke.
»Ja, stimmt schon, ich weiß nicht so viel von ihr. Sie macht ihr
eigenes Ding, das mich nichts angeht – das hat sie mir sogar ins Gesicht
gesagt. Aber natürlich habe ich nicht geahnt, dass … Nein, das kann nicht
sein!« Sie suchte wieder Johannas Blick und schwieg einen Moment. »Rabea war
ein richtig süßes Kind. Ja, das war sie. Hat immer mit großen Augen in die Welt
gesehen und gestaunt. Mein Mann, mein zweiter Mann, war ganz vernarrt in sie.
Und, hören Sie«, sie hob kurz die Hand, »es hat hier nicht immer so ausgesehen
wie jetzt, das können Sie mir glauben, und ich hab auch nicht immer Tag und
Nacht gesoffen.«
Was ist hier schiefgelaufen, fragte sich Johanna im Stillen, ohne
sicher zu sein, ob sie die Antwort tatsächlich hören wollte.
»Die anderen, die Jungs meine ich, haben ihn nur am Rande
interessiert – er war ja auch nicht der richtige Vater«, fuhr Rabeas Mutter
fort. »Kann man ja verstehen. Drei Jungs von einem anderen Mann, na ja, und
schwierig waren die häufig – wie Jungs halt so sind. Und mir wurde irgendwann
alles zu viel … dieses ganze Leben, das einfach nicht richtig laufen wollte,
verstehen Sie? Irgendwas passierte immer, was da nicht hingehörte oder alles
kaputt machte. Es hat mich umgehauen, und irgendwann wollte ich nicht mehr aufstehen.«
Sie zog an ihrer Zigarette. »Ist ja jetzt auch egal.« Ihr Blick verschloss sich
wieder. »Ernsthaft: Rabea – eine Kriminelle?«
»Sie ist die Anführerin einer Mädchenbande, die sich ›die Krähen‹
nennt. Sagt Ihnen der Ausdruck etwas?«
»›Die Krähen‹? So wie die Vögel?«
»Ja, genau.«
»Wir hatten mal ein Krähennest auf dem Dach. Das hat sie irgendwann
erzählt. Sie fand es toll.«
»Aha. Mehr wissen Sie dazu nicht?«
»Hm … Nein. Ist doch nur ein Name.«
»Hat Ihre Tochter einen Freund?«
»Einen, mit dem sie ins Bett steigt? Ich weiß es nicht. Ich glaub
nicht. Sie ist nicht der Typ.«
»Was ist sie denn für ein Typ?«
Solga drückte die Zigarette aus. »Sie ist schlau und stark, sie hat
ihre eigenen Gedanken. Sie ist mir manchmal ganz schön fremd, eigentlich
meistens … Sind Sie jetzt bald fertig?«
Johanna nickte langsam. »Gleich. Die Kollegen sehen sich noch den
Keller genauer an. Gibt es sonst noch irgendwelche Räumlichkeiten, die Ihre
Tochter genutzt haben könnte?«
»Genutzt?«
Johanna seufzte unterdrückt. »Als Versteck für Drogen zum Beispiel.
Haben Sie so was wie einen Schrebergarten mit einem Häuschen oder Schuppen?«
»Nee, unten gibt es den Fahrradkeller und die alte Waschküche, aber
die wird kaum noch benutzt, weil ja heutzutage die meisten ihre eigene
Waschmaschine haben, und jeder Mieter hat noch einen Abstellraum für seinen
Kram.«
»Das war’s?«
»Ja – das war’s.« Frau Solga verdrehte die Augen, als sei Johanna
mit besonderer Begriffsstutzigkeit geschlagen. »Eine Zweitwohnung haben wir
nicht, noch nicht, und auch keinen Garten.« Sie setzte ein Grinsen auf. »Ach,
bevor ich es vergesse – einen Dachboden mit jeder Menge Gerümpel gibt es noch.
Wäsche kann man da aufhängen, wenn man will. Macht aber kaum noch einer.« Solga
verdrehte die Augen kurz in Richtung Decke. »Direkt über uns. Wenn Sie weiter
nichts zu tun haben …«
»Danke für den Hinweis«, erwiderte Johanna in sarkastischem Ton,
wandte sich um und umfasste die Türklinke. »Übrigens: Ihre Tochter braucht
einen Anwalt. Einen guten Anwalt.«
»Klar doch. Leute wie wir haben nur gute Anwälte.« Solga knipste
Weitere Kostenlose Bücher