Tod in Wolfsburg (German Edition)
der
Gelegenheit einen atmosphärischen Eindruck zu verschaffen. Als sie ausstieg,
klingelte ihr Handy.
»Wir haben ein Kaugummi gefunden«, sagte Reinders mit leisem Triumph
in der Stimme. »Wenn sich eines der Mädchen gestern Nacht hier herumgetrieben
hat, werden wir das bald wissen.«
»Interessanter Aspekt«, meinte Johanna. »Vielleicht sollten die
Nachbarn dazu befragt werden.«
»Ich kümmere mich darum. Wie kommen Sie voran?«
Johanna erzählte kurz von ihrem Besuch bei dem Hausmeister. »In
Wolfsburg und Umgebung gibt es zwar höchstwahrscheinlich mehr helle VW -Transporter als Sterne am Himmel,
aber der Hinweis an sich ist schon sehr wertvoll.«
»Stimmt, und es spricht nichts dagegen, diesbezüglich schon mal die
Zulassungen zu checken. Ich guck mal, ob wir jemanden dafür abstellen können.«
Johanna lächelte. Reinders war zahm geworden wie ein neugeborenes
Lämmchen. Aber sie verkniff sich eine Bemerkung.
»Ich stehe übrigens gerade vor dem Haus, in dem Rabea wohnt. Ich
möchte einen Blick in ihr Zimmer werfen, bevor ich die Vernehmungen fortsetze,
und vielleicht ist die Mutter jetzt doch mal ansprechbar. Die Haltung des
Mädchens bröckelt zwar inzwischen ein wenig, aber sie ist immer noch sehr gelassen,
sicher und souverän. Eine Siebzehnjährige, der solche schweren Straftaten zur
Last gelegt werden, könnte für meinen Geschmack stärker einbrechen, aber sie
fühlt sich immer noch unglaublich stark, und ich möchte herausfinden, warum.«
Reinders wünschte ihr viel Glück, und Johanna steckte das Handy ein,
bevor sie bei Familie Solga klingelte. Ein Türsummer erklang. Johanna musste in
den dritten Stock, und sie war etwas außer Atem, als sie oben angekommen war.
Ihre Fitnesswerte waren auch schon mal besser gewesen. Ein Mitarbeiter aus dem
Spurensicherungsteam öffnete ihr.
»Wir sind hier oben so gut wie fertig und wollen uns gleich mal den
Keller ansehen«, sagte er, als er Johanna erkannte, und ließ sie eintreten.
Der Flur war eng und dunkel. Abgestandene Luft. Auf einem wackligen
Garderobenständer stapelten sich Jacken und Pullover.
»Und?«
»Nichts – das Mädchen hat nicht mal Zigaretten versteckt oder
Alkohol, und ihr Zimmer ist auffallend ordentlich und sauber. So was habe ich
schon lange nicht mehr gesehen.«
Der Beschreibung würde Johanna sofort zustimmen. Sie konnte sich
nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal ein Jugendzimmer betreten hatte,
das so aufgeräumt gewesen war. Bett, Schrank, Regal, Schreibtisch – abgewohnt,
zerschrammt und viele Jahre alt, aber funktionstüchtig. Abgesehen von dem
Bettzeug, das Rabea aufgrund des Polizeibesuchs am frühen Morgen offenbar nicht
mehr hatte wegräumen können, herrschte in dem Raum eine fast militärische
Strenge und, ja: irgendwie männliche Einfachheit. Johanna fiel kein anderer
Ausdruck ein. Sie erinnerte sich daran, dass Lolas Mutter mehrere ältere Brüder
erwähnt hatte. Vielleicht hatte Rabea ein Jungenzimmer übernommen. Nirgendwo
lagen Kleidungsstücke herum, und bis auf einen Block, Stifte und zwei Lexika war
der Schreibtisch leer. Den PC und
das entsprechende Zubehör hatten die Kollegen mitgenommen. Es gab keine Bilder
an den Wänden, nichts schmückte diesen Raum. Sie ist hier nicht zu Hause,
dachte Johanna, oder nur mit einem Teil von sich. Sie drehte sich langsam zu
dem Polizisten um, der in der offenen Tür auf sie wartete.
»In der Tat, sie hält sich nicht damit auf, Unordnung zu schaffen.
Das hat die Durchsuchung sicherlich erleichtert«, meinte sie.
Der Beamte nickte. »Und verkürzt, zumindest in diesem Bereich der
Wohnung. Wir haben uns dann auch die anderen Zimmer vorgenommen. Da sieht es,
milde ausgedrückt, ganz anders aus. Der Kollege, der Wohnzimmer und Küche unter
die Lupe nimmt, ist jedenfalls ganz schön bedient.«
»Ist die Mutter eigentlich inzwischen ansprechbar?«
»Das würde ich so nicht ausdrücken. Sie hat zwar vorhin mal kurz um
die Ecke geguckt und herumgeschnauzt, sich dann aber gleich wieder ins Bett
gehauen, ohne sich weiter um uns zu kümmern oder gar auf detaillierte Fragen
einzugehen – wenn Sie mich fragen, ist die völlig breit. Sie hätte
wahrscheinlich Mühe, sich überhaupt daran zu erinnern, dass sie eine Tochter
hat, geschweige denn, dass sie weiß, was das Mädchen so treibt.«
»Ist sonst noch jemand zu Hause?«
»Nein. Rabeas Vater wohnt wohl nicht mehr hier oder nur zeitweise,
aber ein älterer Bruder hat noch ein Zimmer, ist aber nicht da.«
»Wo
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