Tod in Wolfsburg (German Edition)
Ladendetektivin noch mal den heißen Tipp, sich aus
allem rauszuhalten. Ansonsten sehen wir uns die Tage. War die Vorstellung
realistisch? Jedenfalls war sie nicht unrealistischer als die Befürchtung, Rico
hätte nichts anderes im Sinn, als sich auf den Weg nach Braunschweig zu machen
und jeden Moment vor ihrer Tür aufzutauchen, um sie zur Rede zu stellen, zu
überfallen, fertig zu machen … Oder?
Sandra kaute eine ganze Weile auf dem Gedanken herum. Schließlich
traf sie eine Abmachung mit sich selbst: Falls sie bis zum Mittag nichts
Verdächtiges entdeckte, würde sie das Haus durch den Keller verlassen – um
sicherzugehen, dass sie nicht doch jemandem direkt am Eingang in die Arme lief
–, eine Weile den Weg beobachten und schließlich zur Probe die Straße
entlangspazieren – immer in Reichweite anderer Passanten. Selbst wenn Rico
irgendwo in der Nähe wäre, würde er es kaum wagen, sich ihr am helllichten Tag
auf der Straße zu nähern, um sie zu bedrohen. Aber er würde ihr wahrscheinlich
auf den Fersen bleiben wollen, und während sie mit geschärften Sinnen ein Stück
in Richtung Innenstadt spazieren würde, konnte sie feststellen, ob ihr
tatsächlich jemand folgte oder nicht. Sie durchdachte ihren Plan immer wieder,
betrachtete ihn von allen Seiten, wog ab, verwarf ihn, griff ihn erneut auf, um
schließlich endgültig eine Entscheidung zu treffen: Wenn sie wirklich wissen
wollte, ob eine Gefahr bestand, musste sie handeln und ihren Unterschlupf
verlassen. Und wenn er mich anspricht? Erkläre ich ihm, dass ich nie etwas von
seinem Kumpel gehört oder gesehen hätte.
Ich bin mutig geworden, dachte sie verblüfft. Zumindest in Gedanken.
28
Die Mädchen wirkten müde und abgespannt. Das war gut so.
Johanna lächelte.
»Wie sieht es aus – seid ihr bereit, das Theater zu beenden und
endlich alles auf den Tisch zu legen?«
»Wir haben alles gesagt«, meinte Philippa. »Mit dem Mord haben wir
nichts zu tun.«
»Ihr habt Karen also wirklich einfach in den Allerwiesen liegen
gelassen – obwohl ihr wusstet, dass sie zur Polizei gehen würde?«
»Sie hat es angedroht, das stimmt«, erwiderte Rabea. »Aber ich
denke, sie hätte sich diesen Schritt doch noch mal überlegt.«
»Warum?«
»Wegen Betty.«
»Verstehe. Die Sorge um die Freundin wäre ihr wichtiger als sie
selbst gewesen, das hattet ihr natürlich längst begriffen, und damit hättet ihr
sie erneut unter Druck gesetzt. Schlau, sehr schlau.« Johanna nickte. Der
lapidare Tonfall ging ihr aber nur schwer über die Lippen. »Aber was ist mit
deinem Freund – hat der das genauso gesehen? Oder wollte der nicht lieber auf
Nummer sicher gehen?«
Philippa wandte sich Rabea zu. Ihr Blick war alles andere als
freundlich. Auch nicht besorgt, unruhig oder irritiert. Eher … lauernd.
Merkwürdig.
»Mein Freund?«
»Ja, der Dealer und Vergewaltiger. Vielleicht ist ihm die Sache zu
heiß geworden, vielleicht befürchtete er, dass ihr Karen nicht unter Kontrolle
haben würdet, und hat sich entschlossen, kurzen Prozess zu machen – natürlich
mit eurer Hilfe.«
Rabea schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, was Sie andeuten wollen.«
»Ich deute schon lange nichts mehr an, Rabea. Ich sage dir, was
passiert ist. Ich habt Karen verprügelt, ihr jede Menge Alkohol und Pillen
eingeflößt, sie wurde vergewaltigt und später mit dem Transporter über
Vorsfelde an den Kanal gebracht. Dort habt ihr sie auf die Gleise gelegt …«
»Haben wir nicht!«, fuhr Philippa dazwischen. »So ein Quatsch – wir
ermorden doch niemanden.«
Johanna zog eine Augenbraue hoch. »Was glaubt ihr, was in einem
Mädchen, in einer Frau vorgeht, die vergewaltigt und gequält wird?«
»Davon stirbt man nicht, oder?«, hielt Rabea dagegen.
»Doch: Betty hat den Freitod gewählt, weil sie das Leben nach euren
Grausamkeiten nicht mehr ausgehalten hat. Dafür tragt ihr die Verantwortung!«
Beide zogen es vor zu schweigen.
»Aber ich sag euch was: Wir haben ihn längst – den Mörder oder auch
einen der Mörder«, fuhr Johanna einen Moment später fort. »Er kann nur nicht
mehr allzu viel erzählen, und seine Nase hat etwas gelitten. Schade eigentlich.
War wahrscheinlich mal eine sehr hübsche Nase.« Sie holte die Fotos hervor. Das
Bild mit der Aufnahme vom Gesicht legte sie direkt vor Rabea auf den Tisch.
»Na, was sagst du nun? Deinen Freund hat es auch erwischt. Traurig, aber wahr.«
Rabea starrte auf das Bild, sekundenlang, und hob dann nur
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