Tod in Wolfsburg (German Edition)
Führerschein: Tom Siender, fünfundzwanzig, arbeitet für
Kaunta. Nähere Einzelheiten gibt es später.« Reinders blätterte ein paar Seiten
um und reichte Johanna Fotos von dem Mann. »Auf jeden Fall liegt ein
gewaltsamer Tod vor. Jemand hat ihm das Nasenbein sehr direkt und sehr
professionell in Richtung Gehirn gedroschen – wahrscheinlich gestern am späten
Abend. Er ist relativ schnell gestorben. Die Kollegen vermuten eine
Auseinandersetzung unter Geschäftsleuten .«
Er betonte das letzte Wort und hob eine Augenbraue. »Der Schlag war jedenfalls
ziemlich gekonnt.«
Johanna blickte auf das Gesicht. Ein junges, blutiges Gesicht, das
wahrscheinlich mal sehr hübsch gewesen war. Sie sah wieder zu Reinders hoch.
»Überprüfen Sie bitte, ob es Decken in dem Wagen gibt – falls ja, sofort zur
Untersuchung für den Spurenabgleich mit Karen und den Mädchen und dem Toten
natürlich.«
»Hab ich schon in die Wege geleitet. Was ist mit Kaunta? Wollen Sie
da selbst hinfahren?«
Johanna überlegte einen Moment. »Wenn er in die Sache verwickelt
ist, sollten wir ihn nicht zu früh warnen. Ist bei dem Toten ein Handy gefunden
worden?«
»Dazu kann ich noch nichts sagen, aber ich rufe gleich noch mal
durch.«
»Tun Sie das.«
Johanna nahm sich das nächste Foto vor – eine Ganzkörperaufnahme.
Die Hose des Mannes stand offen und war ein Stück heruntergezogen. Sie wies
Reinders darauf hin. »Haben Sie dafür eine Erklärung?«
Der Kommissar zuckte mit den Achseln. »Nein. Meinen Sie, dass das
wichtig ist?«
»Finden Sie es heraus. Passt für mich jedenfalls nicht unbedingt zu
einer Auseinandersetzung unter Berufskonkurrenten.«
Reinders nickte langsam. »Na ja. Kann auch Zufall sein.«
»Eine offene Hose kann Zufall sein?«
Reinders räusperte sich. »Ich klär das«, wiederholte er.
Johanna sah ihn auffordernd an. »Bitte sofort – ich brauche das für
die weitere Vernehmung. Apropos, wie weit sind Sie eigentlich mit Nelli und
Lola?«
»Beide heulen – und geben alles zu, bis auf den Mord an Karen.«
»Wer gibt schon einen Mord zu?«
»Tja.« Reinders tippte mit einem Finger auf die Fotos in Johannas
Hand. »Meinen Sie, dass er es getan hat? Oder doch alle gemeinsam?«
»Beide Varianten sind möglich. Aber zunächst mal passt der Wagen,
und der Mann könnte durchaus der Typ aus den Filmen sein – aber
hundertprozentig sicher können wir erst nach der DNA -Analyse sein. Und bei alldem dürfen wir natürlich nicht
außer Acht lassen, dass er getötet wurde.« Und dass er seine Hose
heruntergelassen hatte, fügte Johanna in Gedanken hinzu. »Bis später.
Informieren Sie mich bitte sofort.« Damit eilte sie zurück ins
Vernehmungszimmer. Die Fotos hatte sie eingesteckt.
27
Sie hatte sich die ganze Nacht nicht von ihrem Platz am
Küchenfenster weggetraut – bis auf zwei schnelle Klogänge. Einmal wären ihr die
Augen beinahe zugefallen, aber kurz danach begann die Stadt zu erwachen. Die
ersten Frühaufsteher und Berufstätigen machten sich auf den Weg. Hunde hoben im
milchigen Dunst der Laternen ihr Bein. Ein Jogger eilte vorbei. Autos sprangen
an. Gegen sechs kochte sie Kaffee. Tausend Gedanken waren ihr während der
vielen Stunden durch den Kopf gegangen – viele unsortiert und absurd, andere
mit bangem Herzklopfen und erneut aufsteigender Panik verbunden. Sie hatte
Hunger und war erstaunt darüber. Durfte man Hunger verspüren, wenn man am Abend
zuvor jemanden umgebracht hatte und sich nun auf den nächsten Angreifer
einstellte? Warum eigentlich nicht? Sie belegte ein Brot mit Käse, auf das
andere strich sie daumendick Nutella. Nach den ersten Bissen merkte sie, wie
hungrig sie war, und schnitt gleich die nächste Scheibe ab. Als Nachtisch gab
es eine Banane und zwei Kekse. Um acht rief sie in ihrer Firma an und meldete
sich krank. Magen-und Darmgrippe – das kam immer ganz gut. Da Sandra selten
krank war, erfolgten auch keine skeptischen Nachfragen, sondern ehrlich
gemeinte Genesungswünsche.
Vielleicht ist ja auch alles ganz anders, als ich es befürchte,
überlegte sie während der dritten Tasse Kaffee. Vielleicht hat ja Rico – den
Namen würde sie nie vergessen – was Besseres zu tun, als auf die Rückmeldung
seines Kumpels zu warten, oder er geht schlicht davon aus, dass sein Auftrag
ohne Komplikationen erledigt worden ist, und kümmert sich nicht weiter darum.
Natürlich – so könnte es doch auch gewesen sein: Heh, Kumpel, wenn du in
Braunschweig bist, gib der
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