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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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ist.«
    »Wirklich nicht?«
    Natürlich war das wichtig. Ihre Frage beruhte nicht auf Sentimentalität, sondern auf Mitgefühl, auf Hochachtung vor Mr. Tucker, Tommy, wie ihn alle nannten. Ich hatte es längst aufgegeben, die verschiedenen Aspekte Katherine Mortenhoes zusammenzufügen, der einzig wahren und kontinuierlichen Katherine Mortenhoe – doch diese besondere Facette stach hervor: die Hochachtung vor anderen Menschen. Ihr Vater hatte sich auf typische Weise geirrt, als er sagte, sie wollte sterben. Ich hatte mitangesehen, wie sie sich aus ihren Problemen freikämpfte. Sie lebte intensiver als irgend jemand, den ich kannte. Vielleicht mit Ausnahme meiner Frau. Meiner geschiedenen Frau. Meiner künftigen Frau.
    Unsere Sachen lagen unberührt in der Steinhöhle, die wir uns gebaut hatten. Wir teilten die verbliebenen Lebensmittel in zwei Mahlzeiten auf. Danach würden wir hungern müssen, wenn nicht etwas geschah, wenn wir nicht etwas geschehen ließen. Katherine machte sich keine Sorgen. Sie verzehrte fröhlich ihre Ration, plauderte dabei über andere Ferien, die sie erlebt hatte, zumeist schlimme Episoden, die sie nun komisch darstellen konnte. Ich hatte nicht das Gefühl, daß sie mir ihre Zukunft aufbürdete, sondern daß sie die Gegenwart einfach für wichtiger hielt.
    Zum erstenmal seit einer Stunde – das längste Vergessen, das ich seit der Operation geschafft hatte – fiel mir ein, wer ich war und was ich war. Ich dachte an Vincent. Ich wollte ihn nicht ausnutzen, doch wenn wir nicht hungern wollten, blieb mir wohl keine andere Wahl. Ich entschuldigte mich und stieg die Promenade hinauf, lehnte mich gegen das Geländer und beobachtete Katherine in Totalaufnahme, wie sie die Röcke von Rondavels Margaret mit einer Hand hochhielt und mit der anderen Steine ins Meer warf. Es war ein herrlicher Anblick. Die Wellen kamen in langen, dunklen Kämmen herein. Der Wind zerzauste ihr das Haar. Und ein Hund, derselbe Hund von vorhin, war aus dem Nichts erschienen und jagte nun wild bellend jeder zurückweichenden Welle nach. Ich behielt die Totale bei. Auch Vincent würde das großartig finden.
    »Wir brauchen Geld«, sagte ich. »Wer immer mich hören kann – geben Sie die Nachricht an Mr. Ferriman weiter. Richten Sie ihm aus, ich werde gegen acht Uhr beim alten Pier auf die Promenade kommen. Allein. Sagen Sie ihm, er soll jemanden mit Geld schicken.«
    Katherine drehte sich um, sah mich, winkte. Ich winkte zurück. »Verstanden?« fragte ich.
    Nach kurzer Pause brummte der Lautsprecher. »Hier Doktor Mason. Ich mache mir Sorgen um die Patientin. Ich möchte gern, daß Sie…«
    Ich unterbrach ihn. »Gehen Sie zum Teufel«, sagte ich. »Richten Sie Vincent aus, was ich gesagt habe, und dann scheren Sie sich zum Teufel.«
    Er war ein netter Mensch. Er hatte einen netten Raum, in dem nette Ärzte netten Patienten schlimme Dinge sagten. Ich lehnte es ab, daß er am anderen Ende saß und mich beurteilte. »Sie sind doch Arzt, nicht wahr? Dann ziehen Sie los und praktizieren Sie.«
    Ich hatte zuletzt lauter gesprochen. Ein Mann lehnte sich neben mir an das Geländer und fragte mich, wie mir denn so sei, ob ich eine gute Ferienstimmung hätte, und ich antwortete, es gehe mir gut, woraufhin er seufzte. Ich ließ ihn stehen und kehrte zu Katherine zurück. Was er sich dabei dachte, als er mich vor der Herrentoilette mit mir selbst sprechen hörte, kann ich nur vermuten.
    Auf dem Rückweg zum alten Pier – von Tommy keine Spur – hatte Katherine einen schlimmen Schüttelfrostanfall. Ich setzte sie in den Sand und hüllte sie in ihren Schlafsack. Es dauerte sehr lange, vielleicht mehrere Stunden, ich weiß es nicht, ich sah nicht auf die Uhr, und hinterher mußte sie sich im Meer waschen, ungeachtet der Verseuchung. Ich half ihr in ein anderes Kleid: wir hatten jetzt nur noch eins, und ich versuchte, das alte gleich zu waschen. Dies alles klingt abstoßend, doch ich kann nur sagen, daß es das nicht war. Wir waren anspruchslos im Umgang miteinander. Und diesmal erholte sie sich nicht völlig. Ein Arm blieb gelähmt, und sie schien beim Gehen Mühe zu haben, das Gleichgewicht zu halten.
    Ich muß ihren Zerfall hier so offen darstellen, obwohl ich ihm damit eine falsche Bedeutung gebe. Damals hatten wir soviel anderes im Sinn, daß wir die Veränderungen kaum wahrnahmen. An jenem Nachmittag am Strand waren wir sehr glücklich.

    Sie war müde, und der Glanz des Meeres stach ihr in die Augen, sein Lärm hallte in ihren

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