Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Trennung aus ihrem Gedächtnis zu verbannen versucht. Und der Fall hatte sein Übriges getan, um die alten Geschichten zu verdrängen. »Ich habe soeben einen Fall gelöst – meinen ersten Mord«, rief Wiebke plötzlich. Sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn, dass es klatschte. »Ich weiß, wer den Mann im Strandkorb erschossen hat!«
Tiedje blickte sie verwundert an, und sie berichtete ihm kurz und knapp, was sie eben in Erfahrung gebracht hatte. Er hörte ihr aufmerksam zu und schien sich ernsthaft für ihre Arbeit zu interessieren. »Moment – du hast eine Mörderin überführt und sitzt hier mit mir rum? Das geht nicht, wir müssen sofort los!«
»Wir?« Wiebke blickte ihn verwundert an.
»Na ja, ich komm mit, oder denkst du ernsthaft, ich lass mich schon wieder abwimmeln?«
Auch wenn es gegen jede Vernunft und gegen jede Dienstvorschrift war, hatte Wiebke keine Einwände. Vielleicht beurteilte Tiedje die Dinge anders, wenn er sah, wie sie arbeitete. »Dann komm schon«, rief sie und war bereits an der Garderobe, um die Jacke vom Haken zu nehmen. »Du fährst, ich telefoniere unterwegs.«
Siebenundzwanzig
»Oh mein Gott, was ist das?« Wiebke glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie vor das Haus traten. Vor dem Carport von Heide und Helmut Uphusen parkte Tiedjes neuer Wagen. Eigentlich war es ein alter Wagen, denn der knallgelbe VW-Bulli hatte mindestens fünfundzwanzig Jahre auf dem Buckel. Dafür sah er aus wie frisch aus dem Laden, der Lack glänzte wie mit der Speckschwarte eingerieben, Regentropfen perlten sich auf der kantigen Karosserie. Das Auffälligste war die Lackierung, die an den Flanken maritime Motive aufwies. Waren es auf der Fahrertür noch dezente Muscheln am Strand, stieg die Silhouette zum Heck hin an und zeigte eine stilisierte Skyline der Giebelhäuser am Husumer Binnenhafen, nach hinten hin den Leuchtturm von Westerhever mit seinen zwei Wohnhäusern am Fuße. Auf der Heckklappe weideten Schafe auf einem Deich, während die Front ein Schiff im Hafen zeigte. Alles, was die Landschaft ausmachte, die Wiebke so liebte, war vorhanden. Auf der Heckscheibe gab es eine aufgeklebte Sonne, die gerade im Meer verschwand.
»Das ist mein Strandtaxi«, sagte Tiedje mit unverhohlenem Stolz. »Die Lackierung war teurer als das ganze Auto.« Dann gab er ihr einen fast freundschaftlichen Knuff in die Seite. »Aber willst du jetzt den Bulli bestaunen oder willst du eine Mörderin fangen?«
»Na los.« Wiebke schüttelte ungläubig den Kopf, während sie einstieg und sich in den bequemen Pilotensessel sinken ließ. Tiedje hatte bereits hinter dem Steuer Platz genommen und startete den Motor, der sich aufgrund des Sportauspuffs kernig anhörte. Routiniert rangierte er das Gefährt rückwärts auf die Hauptstraße von Ostenfeld und ließ sich von der immer noch beeindruckten Wiebke das Ziel nennen.
»Mommsenstraße in Husum. Ich sag dir gleich, wo du halten musst.« Dann lehnte sie sich in die Polster zurück und betrachtete ihn einfach, wie er sichtlich stolz hinter dem großen Lenkrad saß und jede Bodenwelle genoss, die der alte VW-Bus nahm und gutmütig wegschaukelte. Eigentlich war Tiedje ein großes, aber liebenswertes Kind.
Jensen, der Mann im grauen Kittel, musterte sie misstrauisch.
»Mein Name ist Wiebke Ulbricht von der Kripo Husum, wir suchen Ellen Budde. Leider öffnet sie nicht die Tür.«
Der Alte lachte und zeigte ihnen zwei Goldzähne. »Das tut sie nie, auch bei mir nicht. Kein Wunder, immerhin schuldet sie mir noch zwei Monatsmieten.« Er winkte ab. »Die hab ich schon in den Wind geschrieben, aber die gute Dame kann sich auf was gefasst machen. Ich werd sie aus der Wohnung klagen, wenn sie nicht freiwillig geht.«
Wiebke hatte beim besten Willen keine Lust auf nachbarschaftliche Hetzerei, aber bei dem älteren Mann handelte es sich offenbar um Ellen Buddes Vermieter. Deshalb hakte sie nach. »Sie steckt in finanziellen Schwierigkeiten?«
»So könnte man es vorsichtig ausdrücken. Kein Wunder, mit den paar Kröten, die sie als Köchin verdient hat, bringt sie es nicht weit. Warum hat sie bloß in dieser Strandkneipe angefangen? Sie hätte den Job als Apothekerin behalten sollen, das hätte mehr Geld gebracht.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnte?«
»Entweder ist sie da und macht nicht auf, oder sie ist auf dem Friedhof.«
»Auf dem Friedhof?«
»Ja, da ist sie oft. Seit ein paar Tagen sogar noch öfters. Muss ihr wohl was ordentlich
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