Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
du etwa, ich hätte Niki umgebracht?»
«Ich weiß nicht, was ich glauben soll, deshalb frage ich dich ja. Immerhin wollte er dir dein Weingut wegnehmen.»
«Hat er aber nicht. Zweite Frage.»
«Ich weiß, du willst nicht darüber sprechen. Ich kann das verstehen, will es aber dennoch wissen.»
Sie kniff die Augen zusammen. «Bitte nicht», sagte sie in Vorahnung, was nun kommen würde.
«Ich verspreche dir, dass ich dich nie mehr darauf ansprechen werde. Wie ist dein Vater mit dem Traktor verunglückt? Warst du dabei?»
Sie atmete schwer. «Eine Trockensteinmauer war unterspült. Sie ist unter seinem Traktor weggebrochen, der hat sich zur Seite überschlagen und meinen Vater unter sich begraben …» Phina schossen Tränen in die Augen, sie schluchzte und zitterte. «Ich war einige Hundert Meter entfernt und habe alles mit angesehen. Dann bin ich zu ihm gerannt, habe versucht, ihn unter dem Traktor hervorzuziehen, er hat noch geatmet. Meine Hände waren voller Blut. Dann war alles vorbei. Es war schrecklich.»
Emilio hätte sie gerne in den Arm genommen und getröstet. Aber er wusste, dass sie das nicht zulassen würde. Außerdem war er nicht fertig, das Schlimmste stand ihm noch bevor. Es half nichts, er musste da durch. «Auch meine zweite Frage hat einen Anhang», sagte er leise.
«Warum machst du alles kaputt?», fragte sie kaum hörbar.
«Phina, ich will nur die Wahrheit wissen, dann ist alles gut. Hast du bei dem Traktorunfall nachgeholfen?»
Sie sah ihn schweigend an, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Das Zittern hörte auf, sie wurde plötzlich ganz ruhig.
«Du hattest vorhin recht», sagte sie, «du kannst deine Koffer packen, ich will nie mehr mit dir reden, ich will dich nie mehr sehen.»
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46
Eine Stunde später saß Emilio auf einer Parkbank an einem Waalweg. Er blickte starr vor sich hin, nahm weder den großartigen Ausblick zur Kenntnis noch die Grüße der Wanderer, die an ihm vorbeikamen. Schließlich stand er auf und ging zurück zu seinem Landy. Zwischen den Rückbänken befand sich sein Reisegepäck, die Hemden lagen verstreut auf dem Boden, darauf seine Schuhe. Er hatte wahllos alles ins Auto geworfen und war losgefahren. Nicht einmal einen Zettel hatte er zurückgelassen, mit einer Entschuldigung oder mit einem Abschiedsgruß. Warum auch? Sie hätte ihn zerrissen und weggeworfen.
Emilio fuhr zu Steixners Villa, betrat diese durch den Hintereingang und legte sich auf die Couch. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und dachte nach. Später warf er die Espressomaschine an und machte sich einen Café corretto – mit einem großen Schuss Grappa. Er setzte sich an den Flügel und spielte eine Klaviersonate in B-Dur von Beethoven: «Appassionato e con molto sentimento!» Dann gab er sich einen Ruck und schlug den Tastendeckel zu. Aus Steixners Weinkeller entwendete er einen Blauburgunder, auch nahm er eine Flasche Grappa mit.
Zwischen Bozen und Meran musste er tanken. Schließlich bog er in den mittlerweile vertrauten Forstweg ein und fuhr bis zur Schranke, die er das letzte Mal ordentlich hinter sich verriegelt hatte. Das Schloss bereitete ihm erneut keine Schwierigkeiten, er schaltete das Reduziergetriebe ein, durchpflügte später das Schlammloch und wendete vor dem Bachlauf mit dem Steig. Er nahm die Tüte mit den Flaschen und machte sich auf den Weg. Wieder hatte er ungeeignetes Schuhwerk an, aber das war ihm egal. Auch dass er einmal ausrutschte und sich dabei die Hose verdreckte, nahm er kaum zur Kenntnis. Immerhin waren die Flaschen nicht zu Bruch gegangen.
«Bischt wieda da», rief es von der Seite. Aus dem Nichts war die knorrige Gestalt des Kas-Rudl aufgetaucht, er kam näher und reichte Emilio die Hand.
«Griasti.»
«Servus.» Emilio hob die Tüte. «Hab uns was zum Trinken mitgebracht.»
«Guat.»
Rudl ging voran zu seiner Almhütte. Emilio stellte die Flaschen auf den groben Holztisch. Der Senner holte Gläser, einen Korkenzieher und ein großes Stück Südtiroler Speck. Er schnitt einige Scheiben ab. Dazu tranken sie vom Blauburgunder.
«Guater Tropfen», sagte er anerkennend und schmatzte.
«Den Grappa lass ich dir da, als Dankeschön.»
«Sowieso», sagte Rudl.
Wieder ließ sich Emilio viel Zeit. Wortlos beobachtete er die Kühe auf der Hochweide. Sie hatten alle Hörner. Was ihn eigentlich interessierte, denn ihm war aufgefallen, dass heute den meisten Kühen die Hörner abgesägt wurden. Aber er wollte
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