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Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)

Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)

Titel: Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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Rudl nicht ohne Grund zum Sprechen nötigen. Schließlich hielt er den Zeitpunkt für gekommen.
    «Ich wollte fragen, ob dir noch was eingefallen ist», sagte er.
    «Hmmm.»
    «Du weißt schon, damals vor zehn Jahren, als Niki vom Berg gefallen ist.»
    Rudl nickte. Er verzog sein wettergegerbtes Gesicht zu einer Grimasse, pulte sich ein Stück Speck aus den Zähnen, spülte mit dem Blauburgunder hinterher.
    «Ich glaube, du hast noch jemanden gesehen, nicht nur den Mann mit der roten Hose und Jacke. Stimmt’s?»
    «Sowieso», antwortete der Senner.
    Emilio zügelte seine Neugier. Eine Ziege näherte sich ihrem Jausenplatz.
    «Schleich di», sagte der Senner. Die Ziege gehorchte.
    «Do is no oane kemmen», sagte er.
    Emilio hatte Mühe, den Satz zu verstehen. Es half ihm, dass er schon lange in München lebte, aber Rudls Südtiroler Dialekt war eine besondere Herausforderung.
    «Da ist noch eine gekommen?», versuchte er sich an einer Übersetzung.
    «Genau. A Weibets is ihm nachgstieg’n.»
    «Eine Frau?»
    «Sowieso. Storkes Gstell, blonde Hoar, stramme Wadln. Schnell isch gwesn, des Weibets.»
    «Also eine Frau mit blonden Haaren, sportlicher Figur und guter Kondition?»
    «Woll.»
    Emilio schluckte. Das heute war nicht sein Tag. Schon bereute er es, dass er den Senner zum Sprechen gebracht hatte. Er gab Rudl Zeit, sich von seiner Sprachorgie zu erholen. Dann hakte er nach.
    «Wie kommst du darauf, dass die Frau dem Mann mit der roten Hose nachgestiegen ist?»
    «Woast eh, i hob Enzian pflückt, für meine Muatr.»
    «Richtig, das war ja ihr Todestag.»
    «Sowieso. Da hon i des Weibets wiedr kemmen gsegn. Erscht hot’s an Rucksack g’hobt, iatz zwoa. So an gackerlgelben, wie ihn der Rothosige zuerscht g’hobt hat. Zwoa Rucksäck, verstehst?»
    «Sie hatte auf dem Retourweg zwei Rucksäcke? Und zwar zusätzlich einen gelben, wie ihn Niki beim Aufstieg gehabt hatte?»
    Rudl sah ihn an, als ob er schwer von Begriff wäre. Entsprechend kurz fiel seine Antwort aus.
    «Sowieso.»
    Emilio fuhr sich durch die Haare. Alles hatte er hören wollen, aber nur das nicht. Phina, Phina, Phina … Natürlich, auch Valerie Trafoier war blond, aber sie hatte außer im Bett bestimmt keine gute Kondition, wäre körperlich wohl auch nicht in der Lage, einen erwachsenen Mann im Zweikampf in den Abgrund zu stoßen. Aber Phina war kräftig, durch ihre Arbeit in den Weinbergen hatte sie Hände, die zupacken konnten wie ein Schraubstock. Und dann gab es noch etwas. Emilio verfluchte sein gutes Gedächtnis. In der Garage, wo Phina ihren Traktor parkte, hing an einem Haken über dem Waschbecken ein alter Rucksack. Er hatte eine ungewöhnliche Farbe, er war gelb!

[zur Inhaltsübersicht]
    47
    Schon am Morgen hatte Emilio mit der Quästur in Bozen telefoniert, genauer gesagt mit der vollschlanken Mitarbeiterin, die einen guten Cappuccino machte und in der Schublade größere Bestände von Maronenplätzchen hortete. Sie war entzückt, dass er sein Versprechen hielt und sich bei ihr meldete. Natürlich würde sie sich über einen erneuten Besuch freuen. Ihr Chef sei wieder einmal auf einer Fortbildungsveranstaltung, sie habe Zeit. Auch versprach sie, das Protokoll herauszusuchen, um das Emilio gebeten hatte.
    Jetzt lief der Baron durch Bozen. Kreuz und quer, ohne Ziel. Mal blieb er vor einem Schaufenster stehen, ohne wirklich zu sehen, was dort angeboten wurde. Auf dem Waltherplatz beobachtete er einige Tauben. Am Obstmarkt setzte er sich an ein Tischchen vor dem «Banco 11» und bestellte ein Glas Wasser, obwohl es bei Birgitta feine Weine gab. Er dachte an das Gespräch mit Phina im Weinberg, an die Tatsache, dass sie ihn rausgeschmissen hatte, an seinen Ausflug zu Kas-Rudl. Er hatte keinen Grund, seine Aussage in Zweifel zu ziehen. Zu gut passte alles zusammen. Warum er von seinen Beobachtungen nichts der Polizei erzählt habe, hatte Emilio von ihm noch wissen wollen. «I mog mei Ruah», hatte der Senner geantwortet.
    Angesichts der aktuellen Informationen durchlebte Emilio ein Wechselbad der Gefühle. Alles sprach dafür, dass Phina für Nikis Tod verantwortlich war, wobei es natürlich auch ein Unglück gewesen sein konnte. Vielleicht hatten sie sich unter dem Gipfelkreuz gestritten, er hatte sich geweigert, seine Kaufpläne aufzugeben, sie hatte ihn unter Druck gesetzt, es war zu einem Handgemenge gekommen, in dessen Folge er gestrauchelt und über den Abbruch in die Tiefe gestürzt war. Nein, es musste definitiv kein vorsätzlicher

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