Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Mord gewesen sein, vielleicht Körperverletzung mit Todesfolge oder fahrlässige Tötung oder einfach nur ein tragisches Unglück, dem ein Streit vorangegangen war. Er hatte nicht einmal Beweise, dass es wirklich Phina war, die Rudl am Berg gesehen hatte. Aber es sprach alles dafür.
Eine halbe Stunde später saß Emilio in der Quästur bei der unterbeschäftigten Mitarbeiterin. Er bedankte sich für den Tipp mit Luis Gamper, dem Kriminalrat im Ruhestand. Mit ihm habe er ein interessantes Gespräch geführt. Außerdem habe er einiges über Bienenhonig gelernt. Erwartungsgemäß gab es einen Cappuccino, dazu die vorzüglichen Maronenplätzchen. Er sagte, dass er die Ermittlungen zum Tod von Nikolaus Steirowitz eingestellt habe, die Polizei habe damals solide Arbeit geleistet, es habe sich wohl wirklich um ein tragisches Bergunglück gehandelt.
Sie legte ihm eine Mappe auf den Tisch. Warum er an diesem Unfallprotokoll interessiert sei, fragte sie. Ob es Zweifel am Hergang gebe.
Nein, überhaupt nicht, sagte er. Er sei mit Josephina Pernhofer gut befreundet, sie würde heute noch unter diesem traumatischen Ereignis leiden und sich weigern, darüber zu sprechen. Um ihr bei der psychischen Verarbeitung helfen zu können, wäre es gut zu wissen, was sie damals erlebt hat, warum sie bis heute nicht darüber hinweggekommen ist. Die Kommissariatsangestellte nahm seine Hand. Sie habe das Gefühl, der Baron sei ein guter Mensch. Gerne könne er sich das Protokoll durchlesen. Sie lasse ihn einige Minuten alleine.
Emilio brauchte nicht lange, um bestätigt zu finden, was ihm Phina erzählt hatte. Dem Protokoll waren Fotos vom umgestürzten Traktor beigefügt. Auch hatte man die Überreste der Trockensteinmauer abgelichtet. Vermutlich sei sie über einen längeren Zeitraum durch einen vergessenen Wasserschlauch unterspült worden und schließlich unter dem Gewicht des Traktors eingebrochen. Der tödlich verunfallte Weinbauer sei diesen Weg regelmäßig gefahren, es habe vorher keinen Hinweis auf eine statische Veränderung der Trockensteinmauer gegeben. Dies habe auch die Tochter des Unfallopfers bestätigt, die als Erste am Unglücksort gewesen sei und die Polizei und Rettung verständigt hatte.
Emilio schloss die Mappe mit dem Unfallprotokoll. Phina hatte ihn nicht angelogen. Und dennoch: Vergessener Wasserschlauch? Kein Hinweis auf eine statische Veränderung? Phina war intelligent, und sie kannte den Weinberg und die Fahrtroute ihres Vaters. Es wäre für sie ein Leichtes gewesen, die Mauer an einer geeigneten Stelle mit einem versteckten Wasserschlauch zu unterspülen. Dabei gab es kein Risiko. Entweder es klappte oder eben nicht. Dann hätte sie sich was Neues ausgedacht. Es gab viele Möglichkeiten, in einem Weinberg oder im Weinkeller ums Leben zu kommen. Eine gängige Methode war die Vergiftung durch Kohlenmonoxid bei der alkoholischen Gärung.
Emilio konstatierte, dass es auch in diesem Fall keinen Beweis für Phinas Schuld gab – aber ebenso wie am Berg passte alles zusammen. Und vor allem: Sie hatte ein Motiv!
Als die freundliche Mitarbeiterin des Kommissariats zurückkam, fragte sie, ob Emilio jetzt klarer sehen würde. Diese Josephina täte ihr leid, und es sei eine gute Christentat, ihr zu helfen. Man stelle sich vor: Eine Tochter sieht mit an, wie ihr geliebter Vater mit dem Traktor verunglückt, sie will ihm helfen, sie kann es nicht, er stirbt in ihren Armen. Das würde das arme Kind nie in seinem Leben vergessen.
Emilio musste ihr recht geben, mit einer entscheidenden Einschränkung: Phina hatte allen Grund gehabt, ihren Vater nicht wirklich zu lieben.
Er bestätigte, dass es Josephina Pernhofer nicht leicht habe, man merke ihr den großen Kummer an. Sie sprachen noch ein wenig übers Wetter, dann verabschiedete sich Emilio galant mit einem angedeuteten Handkuss. Sie lächelte verzückt und bot ihm auch in Zukunft jede erdenkliche Unterstützung an.
***
Emilio überquerte die Brücke, die neben der Quästur über die Talfer führte, er nahm einen Fußweg, der ihn am Fluss entlang ins historische Zentrum zurückführte. Hoch oben am Berg sah er Schloss Runkelstein. Er nahm mit seinem Handy ein Telefonat entgegen, es war Theresa, von der er schon lange nichts gehört hatte. Sie wusste, dass er in ihrem Haus in Meran gewesen war, Greta habe es ihr erzählt. Wie er mit seinen Ermittlungen vorankäme, wollte sie wissen, ob er was herausbekommen habe?
Er dachte, dass der Anruf zu einem denkbar
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