Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Felswand ragte viele Hundert Meter nach oben. «Do hat’sn oi ghaut», murmelte er.
«Beim Bergsteigen?», fragte einer aus der Gruppe.
Steff deutete auf die Stiefel und sagte, dass man damit nicht kraxeln könne, und eine Windjacke sei auch nichts für Bergsteiger. Nein, auf der anderen Seite sei der Berg überhaupt nicht steil und gut zum Wandern geeignet. Das Gipfelkreuz könne man von hier nicht sehen, aber es sei nur wenige Meter vom Abgrund entfernt.
Steff nahm sein Funkgerät aus dem Rucksack und verständigte die Bergrettung in Meran. Er gab den Standort durch und den Namen, den er auf der Scheckkarte gelesen hatte: «Nikolaus Steirowitz». Und obwohl er sagte, dass es keinen Grund zur Eile gebe, der Bergwanderer sei definitiv tot, und zwar schon länger, bekam er zur Antwort, dass der Heli in wenigen Minuten starten würde. Er solle noch so lange warten und schon mal nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau halten.
Stunden später, erst am frühen Abend, traute sich der Auerhahn aus seinem Versteck. Er sah erschöpft aus. Die Balzgefühle waren ihm gehörig vergangen. Der Lärm des Helikopters hatte ihm den Rest gegeben. Dazu die vielen Menschen. Aber jetzt war der Trubel vorbei. Das Tal lag ruhig und still im Schatten der Berge. Der Auerhahn erhob sich schwerfällig in die Lüfte und flog sein Tal entlang. Das rote Bündel war verschwunden.
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1
Baron Emilio von Ritzfeld-Hechenstein war unrasiert, er hatte Kopfschmerzen und eine ausgesprochen schlechte Laune, als er den Weinladen in der Münchner Altstadt betrat. Das mit der schlechten Laune war nichts Ungewöhnliches, die hatte er am späten Vormittag chronisch. Ein Gruß erübrigte sich. Der Besitzer der Weinhandlung war in ein Gespräch mit einer Kundin vertieft, die sich nach Emilios flüchtiger Einschätzung wohl besser mit den Duftnoten eines Parfums von Chanel auskannte als mit den subtilen Aromen eines Spätburgunders. Emilio, der leicht hinkte, stieß mit seinem Gehstock die Tür zu einem Hinterzimmer auf. Dort unterließ er es, die Vorhänge aufzuziehen. Er warf einen Blick auf seinen Anrufbeantworter, stellte fest, dass es keine Nachrichten gab – und legte sich ermattet auf ein antikes Sofa aus der Biedermeierzeit. Das Möbel hatte schon bessere Zeiten gesehen und hätte dringend restauriert werden müssen. Aber Emilio liebte das Sofa so ramponiert, wie es war. Es passte zu ihm: exquisite Herkunft, mit deutlichen Gebrauchsspuren und etwas wacklig auf den Beinen, trotzdem nur schwer umzuhauen.
Emilio schloss die Augen und versuchte, sich an den Wein zu erinnern, den er gestern Abend getrunken hatte. Nein, an der Qualität des Rebensaftes konnte es nicht gelegen haben. Die Kopfschmerzen hatten ihre Gründe zweifellos in der konsumierten Quantität. Er hasste sich dafür. Er konnte Menschen nicht leiden, die zu viel tranken. Aber was sollte es? Oft konnte er sich selbst nicht leiden. Heute war wieder so ein Tag.
Die nächste halbe Stunde verbrachte Emilio gewissermaßen im Stand-by-Modus. Er war zwar körperlich präsent, hatte aber alle Systeme heruntergefahren. Er hätte in dieser Phase über seine aktuelle Situation nachdenken können, aber erstens war diese nicht anders wie so oft, zweitens hätte er nichts daran ändern können, und drittens war ihm das schon längst egal. Abgesehen davon hätte ein allzu intensives Nachdenken seinen Halbschlaf gestört. Er hatte sich daran gewöhnt, dass es ihm mal besser ging und mal weniger. In diesem Punkt war er ein Fatalist, dem die Fügungen des Schicksals unausweichlich erschienen, ergo machte es wenig Sinn, dagegen anzukämpfen. Allerdings gehörte er nicht zu den Menschen, die sich ohnmächtig ihrem Schicksal auslieferten und grundsätzlich mit einem schlechten Ausgang rechneten. Emilio betrachtete sich als Fatalisten, der durchaus die optimistische Annahme hegte, dass es das Schicksal auch gut mit einem meinen konnte. Daran änderte nichts, dass sein Leben auf den ersten Blick nicht danach aussah.
Baron Emilio von Ritzfeld-Hechenstein war in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen, geboren auf einem Schloss im Rheingau, das seit sieben Generationen seiner Familie gehörte, umgeben von Rebstöcken, erzogen auf einem englischen Internat. Er war mit den Weinen des elterlichen Gutes groß geworden, verstand entsprechend viel davon, galt schon in jungen Jahren als exquisiter Weinexperte, der bestimmt war, die Familientradition fortzusetzen. Aber dann war alles
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