Tod sei Dank: Roman (German Edition)
den Armen, bis sie sich endlich in den Schlaf geweint hatte. Warum hatte er keine Fotos mit Motiven wie diesem gefunden: wie sie zu zweit auf dem Sofa lagen und sich Zurück in die Zukunft oder Die Truman Show anschauten oder sich am Strand von Largs aneinanderkuschelten, nachdem der ernste Schnappschuss gemacht worden war? (»Umarm mich, Papa! Halt mich noch fester!«) Die wütende Wucht ihrer Pubertät schien sein Gedächtnis getrübt und alles ins Negative verkehrt zu haben. Der Umgang mit ihr war zwar immer eine Herausforderung gewesen, aber sie konnte auch unglaublich liebevoll sein. Lebhaft, hitzig, gefühlvoll und sensibel: Das waren die Wörter, die ihm früher hätten einfallen müssen.
Als er sich sicher war, dass sie friedlich schlief, schlich Will aus dem Zimmer und ging in sein Arbeitszimmer zurück. Er schlug den Notizblock auf und musterte die erste Seite:
1) Cynthia
Und die zweite:
2) Eltern
Er blätterte zur nächsten Seite, um Option Nummer drei in Augenschein zu nehmen:
3) eine kaufen
Die Erinnerung an die Seite, die er vorhin herausgerissen hatte, hämmerte ihm im Rhythmus seines Katers durch den Schädel. War er wirklich so betrunken gewesen, dass er diesen Quatsch geschrieben hatte?
»Wie man eine Niere kauft.« Er tippte diese Wörter bei Google ein. Gleich der erste Artikel erregte seine Aufmerksamkeit:
Mutter opfert alle Ersparnisse, um Niere auf Philippinen zu kaufen
Janette Graham (45), die seit über drei Jahren auf eine Transplantation durch eine staatliche Krankenkasse wartet, hat sich entschlossen, eine weitere Hypothek auf ihr Haus aufzunehmen, um auf den Philippinen eine Niere zu kaufen.
»Ich habe mich ausgiebig mit den damit verbundenen ethischen Problemen beschäftigt«, sagt sie, »aber ich habe fünf Kinder unter achtzehn Jahren. Ich möchte sie aufwachsen sehen.«
Mrs Graham geht jeden Tag zur Dialyse. Sie befürchtet, dass sie während des Wartens auf eine passende Spenderniere sterben wird, denn sie hat eine seltene Blutgruppe, und den Ärzten ist es bislang nicht gelungen, ein geeignetes Organ zu finden.
Transplantationstourismus ist auf den Philippinen seit einigen Jahren stark verbreitet, sodass Manila bereits den Spitznamen One Kidney Island trägt. »Auf den Philippinen gibt es Menschen, die darin die einzige Möglichkeit sehen, ihrer schrecklichen Armut zu entkommen«, sagt Mrs Graham. »Ich bin mir der Risiken durchaus bewusst: Einige Patienten sind von Operationen in Südostasien nicht mehr zurückgekehrt.« Freilich sei sie sich ebenso der Tatsache bewusst, dass in Großbritannien täglich drei Patienten während des Wartens auf eine Nierentransplantation sterben. »Hier kann ich keine kaufen«, sagt sie. »Das ist verboten. Anscheinend habe ich keine andere Wahl.«
Der Artikel enthielt einen Link zu einem weiteren Eintrag über philippinische Organspender. Eine Fotografie erregte Wills Aufmerksamkeit: Sie zeigte zehn Männer, nein, zehn Jungen, die in einer Reihe standen und ihre Hemden hochhoben, um die Narben an ihrer Hüfte zu zeigen. Jeder von ihnen hatte tausend Pfund in bar erhalten, was ihre Situation vorläufig verbessert haben dürfte, aber sicherlich keine langfristige Lösung darstellte. Der Artikel unterstrich zudem, dass es keine Informationen über die Zahl der Spender gebe, die während der Operation gestorben oder nachoperativen Infektionen erlegen waren.
Die Jungs auf den Fotos nannten die Gründe für ihre Entscheidung:
Ich habe keine Arbeit.
Mein Freund hat seine verkauft, und ihm geht es gut. Wird schon schiefgehen.
Ich habe Angst, aber meine Brüder und Schwester brauchen etwas zu essen.
Ich habe keine Angst. Ich finde das spannend.
Will druckte die Artikel aus, faltete sie zusammen und tackerte sie an der entsprechenden Notizbuchseite fest. Die Risiken des Verfahrens und die drastischen Fotos der jungen Spender setzten ihm zwar zu; trotzdem war er freudig erregt. Die Risiken waren geringer als jene, denen die Mädchen zur Zeit entgegensahen. Und die Spender waren willig, sogar verzweifelt. Seine Eltern konnten ihm vielleicht das Geld geben – dass sie sich hatten testen lassen, bezeugte immerhin eine gewisse Hilfsbereitschaft. Falls sie sich weigerten, konnte er immer noch eine neue Hypothek auf das Haus aufnehmen – genug, um eine Niere zu kaufen und sie über die Runden zu bringen, bis alles wieder im Lot war. Wie gut, dass er im Moment keine Arbeit hatte. Es gab Wichtigeres zu tun.
Das Gute an den Philippinen war die enorme
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