Tod sei Dank: Roman (German Edition)
nächste Stunde fühlte sich exakt so an wie jene, als Will ihnen gesagt hatte, dass er Kunst studieren würde …
… was ein intelligenter Mensch einfach nicht machte.
»Unser Gesundheitssystem ist das beste der Welt, Sohn«, sagte sein Vater. »Du solltest mehr Vertrauen haben. Wie lange wartest du schon? Nicht lange, William.«
»Aber versteht ihr denn nicht, dass wir eine von ihnen, vielleicht sogar beide verlieren könnten? Würdet ihr nicht alles tun, um das zu verhindern?«
»Natürlich würden wir alles tun … Wir haben uns testen lassen, oder nicht? Wir hätten unser Leben riskiert.« Diese Leute waren genau wie Cynthia. Sie würden alles tun, solange »alles« darin bestand, überhaupt nichts zu tun. »Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um euch zu helfen«, sagte seine Mutter.
»Dann helft mir jetzt. Ihr sagtet, Ihr würdet die Wohnungen in Spanien verkaufen.«
»Wir versuchen es, aber niemand beißt an, und mieten will auch niemand.« Sein Vater wirkte jetzt ernstlich gestresst. »Wir haben viel Geld verloren, William. Selbst wenn wir dich in dieser Angelegenheit unterstützen wollten, wären wir dazu vielleicht gar nicht imstande.«
Seine Mutter brachte ein Tablett mit vollen Kaffeetassen. Ihre Lippen waren fest zusammengepresst: ein schlechtes Zeichen. Sie verteilte die Tassen und setzte sich. »Wir haben alles gelesen, was man über dieses Thema lesen kann.« Ihre Stimme hatte den gleichen Tonfall wie nach dem Gottesdienst. Jeden Sonntag nach der Messe ging sie zu Hause noch einmal die mit Fußballgleichnissen gespickte Moralpredigt des Pfarrers durch, mit genau diesem Gesichtsausdruck und exakt derselben Stimme.
»Der offizielle Weg ist der richtige. Ihr müsst warten. Weißt du, wie viele Menschen in der Dritten Welt sterben, weil sie ihre Organe verkaufen?«
»Nein. Weißt du es?«
Keiner seiner Eltern gab eine Antwort. Es existierten keine zuverlässigen Statistiken zu diesem Thema.
»Die Wahrheit ist, dass ich es moralisch abstoßend finde«, sagte Wills Mutter. »Diese armen Menschen – wir würden doch nur ihre Not ausnutzen. Ist das wirklich eine Lösung für dich? Wie sollen wir danach noch in den Spiegel sehen? Es ist skrupellos. Es lässt jeden Respekt für das menschliche Leben vermissen.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Hier geht es um das Leben deiner Enkelinnen.«
»Das ist so, wie wenn man Kaffee aus der Dritten Welt kauft. Weißt du, wie viel die Kaffeebauern in Guatemala dafür bekommen? Diese Menschen leben mit ihren Familien in bitterer Armut, während die Firmen das große Geld machen. Die Wiederverkäufer streichen alle Gewinne ein.«
Will nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Und woher stammen diese Bohnen, Mutter?«
»Es reicht, William«, sagte sein Vater. »Du hast deine Antwort erhalten.«
Um drei Uhr nachmittags traf Will bei seiner Bankfiliale ein. Um zehn vor vier saß er mit einem jungen Kundenberater zusammen, der vielleicht neunzehn Jahre alt war: ein wie aus dem Ei gepellter Freund des Small Talks, dessen Enthusiasmus Will als klares Anzeichen dafür galt, dass er noch nicht lange in diesem Job arbeitete. (Kommen Sie doch herein, wie geht es Ihnen heute, nehmen Sie diesen Stuhl hier, der ist bequemer, die Computer sind heute so langsam, Sie möchten also eine neue Hypothek auf Ihr Haus aufnehmen?)
»Das ist richtig.«
»Und zu welchem Zweck?«
»Ich möchte auf den Philippinen eine Niere kaufen.«
Der junge Mann schnappte nach Luft. »Eine Niere, auf den Philippinen? Moment mal … Ach so, das ist ein Scherz. Hahaha! Fast hätte ich es Ihnen abgekauft. Eine Niere auf den Philippinen. Wie eine philippinische Ehefrau, nur eine Niere. Also, um was geht es wirklich? Eine Renovierung? Einen Anbau?«
»Genau«, sagte Will, der haarscharf folgerte, dass die Wahrheit ihn hier nicht weiterbrachte.
»Welches?«
»Welches was?«
»Welches von beiden: Renovierung oder Anbau?«
»Ach so, ähm … ein Dachausbau.«
»Ausgezeichnet. Immer ein guter Weg, den Wert einer Immobilie zu steigern – vor allem in Ihrer Gegend. Wie viel ist das Haus in der Newpark Road denn zurzeit wert?«
»Dreihundertfünfzigtausend Pfund«, sagte Will. »Vielleicht mehr, wenn ich ein paar Sachen repariere. Vor einem Jahr waren es noch vierhundert, aber durch die Wirtschaftskrise ist der Wert gefallen.«
»Und Ihre derzeitige Hypothek?«
»Hundertzwanzigtausend. Ich habe vor einiger Zeit eine zusätzliche Hypothek aufgenommen, um das Dach zu reparieren und die
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