Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
konnte …
33
Es war einen Tag später, am frühen Abend: Während Hermine
in der Küche die Haushaltshilfe anwies, wie das Abendessen zuzubereiten sei,
planschte Ralf-Walther Hillgruber in der Wanne. An manchen Tagen, wenn das
politische Geschäft ihm besonders viel abverlangt hatte, schätzte er ein langes
und erholsames Bad. Dazu nahm er sich dann ausgiebig Zeit, die er aber
keineswegs vertrödelte. Die brillantesten Formulierungen in seinen Reden waren
immer wieder solche, die ihm beim Baden eingefallen waren. Im warmen Wasser zu
liegen schien seine Kreativität auf wundersame Weise zu stimulieren. Dieser
Gedanke brachte ihn dazu, am Wasserhahn mit dem roten Punkt zu drehen. Schon
mehrmals hatte er abgekühltes Wasser abgelassen, um dafür frisches, heißes
einzufüllen. »Hermine?«, rief er. »Hermine, Schätzlein?«
Schätzlein. Hermine Tiedemann schätzte diese Anrede nicht. Diethardt
hatte sie Darling genannt, Thilo Quietscheentchen, und jetzt kam Hamsterbacke
auch noch mit Schätzlein um die Ecke. Wieso hatten Männer die Angewohnheit,
ihre Liebespartner nach ihrem Badespielzeug zu benennen?
»Was hast du denn dieser Bücherschlampe ins Ohr geflüstert?«, hatte
sie Ralf-Walther gefragt. »Meine feuchte Muschimama?«
»Gar nichts«, hatte er entrüstet geantwortet. »Wie kommst du
überhaupt darauf, dass ich einen Kosenamen für sie hatte?«
»Sei nicht billig, Walther. Erzähl mir bitte nicht, du hättest
nichts mit ihr gehabt.«
»Ich habe aber nichts mit ihr gehabt, glaub mir doch.«
»Die Bolzenius hat es mit allen getrieben, auch mit Grünen und Sozialdemokraten.
Das weiß die ganze Stadt.«
»Mag sein, aber nicht mit mir.«
»Denkst du, ich hätte nicht mitgekriegt, wie sie dich angesehen
hat?«
»Wie hat sie mich denn angesehen?«
Ihre Eifersucht. An Abenden wie diesem, wo sie ein wenig Abstand zu
allem hatte, war ihr klar, dass die Eifersucht ihr Problem war. Jeder hatte
schließlich eins. Bei Ralf-Walther zum Beispiel war es maßlose politische
Selbstüberschätzung. Diethardt war einer Art Messiassyndrom erlegen. Diethardt.
Sie weinte ihm keine Träne nach. Hätte sie früh genug gewusst, was er hinter
ihrem Rücken trieb, sie hätte ihn mit Vergnügen eigenhändig umgebracht. Wieder
zügelte sie sich. Die Eifersucht überkam sie ganz einfach – oft schon hatte sie
daran gedacht, einen Therapeuten in dieser Sache zu konsultieren.
»Schätzlein?«
Hermine trat in die Diele. »Möchtest du etwas?«
»Ist das Essen schon fertig? Was gibt es denn heute?«
»Grünkohl, weißt du doch. Und als Nachtisch Töttchen.«
»Wie lecker! Ich bin gleich so weit, wasche mir nur noch die Haare.«
Durch die Tür hindurch konnte Hermine hören, wie Hillgruber unter
Wasser tauchte. Jedes Mal assoziierte sie mit diesem Geräusch ein U-Boot, das
vom Stapel lief. Danach Stille, fünf, vielleicht zehn Sekunden. Und dann
auftauchen. Ein Buckelwal auf dem offenen Meer.
Es rappelte am Briefschlitz. Fünf Umschläge purzelten nacheinander
in die Diele. Die Post kam in der letzten Zeit immer später.
Hermine ging zur Tür, bückte sich und hob die Briefe auf. Nur das
Übliche, bis auf einen großen braunen Umschlag, der an sie adressiert war.
Absender: der Geist der geschminkten Wahrheit . Sie
riss den Umschlag auf.
»Schätzlein? Schätzlein, bist du noch da? – Hermine!«
»Was denn?« Sie hatte nichts gehört, so sehr hatten sie die Fotos
aus dem Umschlag abgelenkt.
»Wo steckst du nur? Ich wollte dich noch bitten, mir den Fön
hereinzureichen.«
Hermine Tiedemanns Mund verzog sich zu einem boshaften Lächeln. Es
war düster wie der Himmel über dem Ozean kurz vor dem Sturm, aber eben nicht
nur. An den Enden rechts und links, da, wo noch ein wenig die Sonne schien,
spielte es fast ins Heitere, ja Beschwingte. »Aber natürlich, mein Schatz«,
sagte sie. »Der Fön. Ich bin schon unterwegs.«
Alfred Bekker
DER TEUFEL VON MÜNSTER
Kriminalroman
ISBN 978-3-86358-071-1
»Bekker entwirft in diesem ›Fantasy-Krimi‹ eine
ungewöhnliche Szenerie mit zwielichtigen Charakteren und konfrontiert die
›normale‹ Welt mit Schwarzer Magie und mittelalterlichen
Rollenspielen.«
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Leseprobe zu Alfred Bekker,
DER TEUFEL VON MÜNSTER
:
Die Tote in Telgte
Der
Blick durch das Zielfernrohr zeigt den Körper einer jungen Frau. Man sieht
nicht sofort, dass es eine Frau ist, denn ihr Schädel ist vollkommen kahl. Sie
lehnt mit dem Rücken am Wagenrad eines Anhängers. Ihr Blick ist starr und
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