Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
handschriftlichen Zeilen, suchte nach Schlebusch, fand kaum noch etwas, fühlte sich frustriert,
denn de Jagers Briefe waren manchmal vage und ausufernd, Absatz für Absatz Beschreibungen der Landschaft, der Politik, der
Buschkriegtaktik und Propaganda über die Erfolge der Späher. Beiläufige Bemerkungen zum 32. Bataillon, die Hauptaufgabe der
Gruppe aber war es, die Nachschublinie zwischen Rundu und irgendwo in Angola offen zu halten —
»Ich darf nicht viel darüber schreiben, Pa, ich werde dir alles erzählen, wenn ich wieder zu Hause bin
« — dazwischen gelegentliche Scharmützel.
»Letzte Nacht ist Rodney Verster von Sarge Bushy fast zu Tode geschleift worden, weil er sein Gewehr nicht gesichert hat …«
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»Gerry de Beers Vater hält bei Somerset East Angoraziegen. Er sagt, wir wissen ja gar nicht, was eine Dürre ist, ihre Marktpreise
aber sind sehr stabil.«
»Clinton Manley spricht kaum Afrikaans. Er ist ein Katholik, Pa, aber er ist nicht anders als wir und ein guter Kerl. Er ist
dünn, gibt nie auf und schießt besser als wir alle zusammen, obwohl er aus der Stadt, aus Rondebosch kommt.«
Acht Namen hatte er schließlich mit den dazugehörigen Details:
1. Sergeant Bushy Schlebusch: Durban? Natal! Surfer.
2. Rodney »Red« Verster: Randburg. Sohn eines Zahnarztes.
3. Gerry de Beer: Somerset-East. Vater ein Angoraziegen-Farmer.
4. Clinton Manley: Rondebosch. Schul-Rugbyspieler von Western Province.
5. Michael »Sprenkel« Venter: Humansdorp. Vater besitzt eine Autospenglerei.
6. Cobus Janse van Rensburg: Pretoria. ??????
7. James/Jamie »Porra« Vergottini: Vater betreibt einen Fish-and-Chip-Laden in Bellville.
8. Rupert de Jager.
Er hatte noch drei Briefe vor sich, als Hope zurückkehrte.
»Irgendwas gefunden?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht.« Die Enttäuschung war seiner Stimme deutlich anzuhören.
»Sind Sie wütend?«
|368| »Er war kein guter Berichterstatter. Er wusste nicht, dass wir die Briefe eines Tages brauchen würden.«
»Meine Partnerin wird den Antrag vorbereiten. Er ist im Grunde fertig.«
»Danke.«
»Und der Militärische Nachrichtendienst hat den Anrufbeantworter mitgenommen. Marie sagt, gelegentlich klingelt noch das Telefon,
aber sie geht nicht ran.«
Er nickte. Er skizzierte den Inhalt der Briefe, erklärte ihr seine Notizen und seinen Plan. Er schob ihr den Stapel Fotos
hin. »Wir suchen nach den Gesichtern dieser Liste.«
Sie nickte und nahm die vergilbten, zu Pastelltönen ausgebleichten Farbschnappschüsse zur Hand. Die Fotos waren auf der Rückseite
beschriftet, manche waren in unterschiedlichen Handschriften datiert. De Jager Senior und Junior? Sie las erst die Beschriftung
und drehte dann die Bilder um.
Jungengesichter,
dachte sie. Zu jung für Soldaten. Ausgelassene Fröhlichkeit, zur Schau gestellt für die Kamera. Manchmal müde Gesichter, manchmal
kleine Gestalten im Buschland, in der Savanne, der Halbwüste.
»Möchten Sie Kaffee?«
»Bitte.«
Sie ging zum Wasserkocher, zögerte, schritt durch den Gang. Carolina de Jager, Wilna van As und Joan van Heerden saßen im
Wohnzimmer. Sie unterhielten sich leise, lächelten sie an, als sie den Kopf zur Tür reinsteckte. Und während sie darauf wartete,
dass das Wasser kochte, dachte sie an die Frauen, die immer zurückblieben, die Witwen und Mütter und Geliebten.
Sie brachte die beiden Tassen zum Tisch, setzte sich, sah zu |369| van Heerden, der die Briefe las, die Stirn vor Konzentration leicht gerunzelt. Sie beide, hier gemeinsam bei der Arbeit, ein
Team. Sie griff sich ein Foto.
Porra, Clinton und de Beer
— stand auf der Rückseite geschrieben; sie drehte das Bild um, und dort standen sie, die Arme gegenseitig über die Schulter
gelegt, in voller Kampfmontur, breit lächelnd. Sie sahen so … unschuldig aus. Sie legte es zur Seite.
Vier Fotos später:
Sprenkel beim Gitarrespielen
. Das Bild war nachts mit Blitz aufgenommen, es war schlecht ausgeleuchtet.
Cobus und ich beim Wassertragen.
Sie erkannte den jungen Johannes Jacobus Smit/Rupert de Jager. Er und ein stämmiger Junge mühten sich mit einer großen, offensichtlich
schweren Tonne ab, die sie durch den staubigen weißen Sand schleppten.
Sarge Schlebusch,
sah sie auf der Rückseite eines Fotos. Sie drehte es um. Ein junger weißblonder Mann ohne Hemd, nur in Kampfhose und Stiefeln,
der unbehaarte, muskelbepackte Oberkörper glänzte, in der Hand hielt er ein großes Gewehr, mit der anderen
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