Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
»Das reicht jetzt«, hatte Tiny Mpayipheli dazu in seinem fast akzentfreien Englisch
angemerkt. Es war Hope gewesen, die die allgemeine Bewunderung auf sich gezogen hatte. Die SW99 in beiden Händen, breitbeinig
dastehend, der Bügel der Ohrschützer über dem kurzen Haar, hatte sie auf zehn Metern Entfernung mit monotoner Regelmäßigkeit
zehn Schüsse ins Ziel krachen lassen, etwas verstreut zwar, aber alle innerhalb des äußeren Kreises. Dann hatte sie ihn entschuldigend
angelächelt.
»Und wo haben Sie Schießen gelernt?«, fragte Billy September mit seiner melodiösen Stimme.
»Letztes Jahr, bei einem Kurs. Eine Frau sollte in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen.«
»Amen«, antwortete Billy September.
Mpayipheli nahm von ihr die Neun-Millimeter-Pistole, lud nach, stellte eine neue Zielscheibe auf und zielte aus fünfzehn Metern.
»Er möchte ein wenig angeben.«
Die Pistole verschwand fast in seiner riesigen Hand. Zehn Schüsse. Ein Loch in der Mitte der Scheibe. Dann wandte er sich
wieder den anderen zu, nahm die Ohrschützer ab und sagte: »Orlando hat gesagt, wir sollen Ihnen zeigen, dass Sie nur die Besten
bekommen.«
Wieder im Haus, hatte seine Mutter bereits damit begonnen, die Frage zu klären, wo alle Anwesenden die Nacht |378| verbringen sollten. »Und wer passt auf Wilna und Hope auf?«, hatte sie gefragt.
»Schlebusch hat nur dich bedroht, Ma.«
»Und wenn er merkt, dass er hier nichts ausrichten kann, wer ist dann der Nächste auf der Liste, na, was meinst du?« Joan
hatte zu Wilna van As und zu Hope Beneke geblickt und gesagt: »Sie beide müssen ebenfalls hier übernachten. Bis die Sache
vorüber ist.«
»Mein Haus ist sicher«, meinte Hope ohne allzu große Überzeugung.
»Unsinn, Sie sind ja ganz allein.«
»Sie ist eine tolle Kanone«, war Mpayiphelis Beitrag dazu.
»Keine Widerrede! Hier ist genügend Platz für Carolina und Wilna und Sie beide. Hope kann in Zets Haus schlafen. Dort ist
Platz genug.«
Er hatte den Mund geöffnet, nach Luft geschnappt, wollte Einspruch erheben — er traute den Motiven seiner Mutter nicht —,
doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Dort draußen läuft ein Irrer rum, und keiner kann es sich leisten, ein Risiko einzugehen«,
hatte sie, durch nichts zu unterbrechen, eisern und auf ihre effiziente Art und Weise hinzugefügt.
»Ich muss los«, hatte er gesagt. »Es gibt einiges zu tun.«
Fünf Jahre lang waren die einzigen Frauen in seinem Leben Geschiedene gewesen, verstörte, gebrochene Bettgefährtinnen, die
er hin und wieder in den Pubs in Table View für eine Nacht zur körperlichen Befriedigung aufgegabelt hatte — wenn er nüchtern
genug war, wenn er noch genügend Energie und Mut zusammenkratzen konnte, um die Sache zu Ende zu führen. Wie hoch war sein
Durchschnitt? Einmal |379| im Jahr? Zweimal vielleicht, wenn sein Körper aufbegehrte und die Hormone ihr Eigenleben entwickelten. Und jetzt, jetzt war
jede Nacht eine andere bei ihm im Haus.
Toller Stoff für eine Sitcom. Er und Hope und Kara-An. Die drei Schmierenkomödianten.
Es ging nicht um Hope. Es war nur … sein Haus war sein Heiligtum.
Er suchte einen Parkplatz vor dem Magistratsgericht. Als er keinen fand, stellte er den Wagen in der Parade Street ab und
ging zu Fuß durch das Einkaufsviertel. Er war schon lange nicht mehr hier gewesen, hatte ganz vergessen, welcher Trubel hier
herrschte, sah wieder die Farben und Gerüche, die Bürgersteige, auf denen sich die Menschen drängten.
Hope in seinem Haus. Unwohlsein in seinem Magen. Es würde nicht funktionieren.
O’Grady stand vor dem Gerichtssaal im Gang, unterhielt sich mit anderen Detectives, die einen geschlossenen Kreis bildeten,
eine geschlossene Bruderschaft. Er, der nicht mehr dazugehörte, stand auf der anderen Seite des Gangs und wartete, bis Nougat
ihn entdeckte.
»Was willst du?« Er hatte ihm noch immer nicht verziehen.
»Informationen austauschen, Nougat«, sagte er und musste sich zusammenreißen, um auf den Tonfall des Fetten nicht weiter einzugehen.
O’Grady kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Was hast du?«
Er nahm den Umschlag aus seiner Jackentasche. »Das ist der Typ.«
|380| »Schlebusch?«
Vorsichtig, an der äußersten Kante, nahm O’Grady das Foto entgegen und betrachtete es.
»Heilige Scheiße!«
»Genau.«
Plötzlich kam es ihm. »Du übergibst das wieder der Presse?«
»Ja. Und ich wollte dich vorher warnen.«
O’Grady
Weitere Kostenlose Bücher