Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
du?«
Kein Respekt mehr.
»Van Heerden.«
»SAPS?«, fragte er.
»Früher mal.«
»Warte.«
SAPS. Die südafrikanische Polizei. Die Leute hier waren schon immer mit der Gabe gesegnet, einen Bullen riechen zu können,
sogar, wenn man nicht mehr dazugehörte. Auch wenn man nicht wie ein Polizist aussah. Er betrachtete die aufwändigen Schutzvorkehrungen
an den einbruchsicheren Fenstern. Schlachtfeld Mitchell’s Plain. Heutzutage gab es Gangs und die Pagad — »People against Gangsters
and Drugs« — und die chinesische Mafia, die kolumbianischen und nigerianischen Kartelle, die russische Mafia, Solospieler
und eine Buchstabensuppe aus diversen Splittergruppen. Kein Wunder, dass die Polizei nicht mehr hinterherkam. Zu seiner Zeit
hatte es nur Banden gegeben — verschreckte Teenager und abgehalfterte Knastbrüder.
Der Mann kam zurück, öffnete das Tor. »Fahr den Wagen lieber rein.«
Er fuhr hinein. Stieg aus.
»Komm«, sagte der mit der Pistole an der Hüfte.
»Willst du mich nicht durchsuchen?«
»Orlando meint, das sei nicht nötig, du triffst auf zwei Metern Entfernung noch nicht mal die Tür zum Scheißhaus.«
|103| »Immer nett, wenn sich andere an einen erinnern.«
Erst durch den Eingang, dann das wie ein Büro eingerichtete Wohnzimmer. Die Heimarbeit des organisierten Verbrechens. In einer
Ecke saßen drei weitere Leibwächter, an einem großen Tisch Orlando. Älter, als er ihn in Erinnerung hatte, an den Schläfen
grau geworden, sah wie ein Schuldirektor aus, gefiel sich noch immer in maßgeschneiderten cremefarbenen Dreiteilern.
»Van Heerden«, begrüßte Orlando ihn, ohne die geringste Überraschung zu zeigen.
»Orlando.«
»Du willst was von mir.« Die Fußtruppen in der Ecke waren mit Papierkram beschäftigt, hatten die Ohren gespitzt, bereit, jederzeit
einzugreifen.
Er holte den Personalausweis aus der Tasche und reichte ihn Orlando.
»Setz dich«, sagte Orlando und winkte ihn zu einem Stuhl.
Er öffnete das Büchlein, setzte seine Lesebrille auf, die ihm an einer Kette um den Hals hing, zog die Lampe näher, schaltete
sie an, hielt das Büchlein unter das Licht.
»Ich mache keine Personalausweise mehr.«
»Was machst du jetzt, Orlando?«
»Du bist nicht mehr bei der Polizei, van Heerden.«
Er grinste kurz.
Er hatte so verdammt Recht.
Orlando klappte das Büchlein zu. »Er ist alt. Und stammt nicht von mir.«
»Aber er ist gefälscht.«
Orlando nickte. »Gute Arbeit. Könnte Nieuwoudt gewesen sein.«
»Wer ist Nieuwoudt?«
|104| Orlando legte den Personalausweis auf den Tisch und schnippte ihn van Heerden zu. »Van Heerden, du kommst hier unangekündigt
vorbei, als würde ich dir was schulden. Du bist seit fünf, sechs Jahren nicht mehr bei der Polizei, und nach allem, was man
hört, bist du ganz unten angekommen und gehst langsam unter. Was kannst du mir bieten, wenn du von mir was haben willst?«
»Ich kann dir gar nichts bieten.«
Orlando starrte ihn an. Ein Mann mit hellbrauner Haut und den Gesichtszügen eines Xhosa, Ergebnis der Verbindung seines angeblichen
Vaters, eines weißen Winzers, und seiner Mutter, einer Hausangestellten. »Du warst immer ehrlich, van Heerden. Das muss man
dir lassen. Triffst immer ins Schwarze, solange du keine Waffe in der Hand hältst.«
»Du kannst mich mal, Orlando.«
Die Leibwächter in der Ecke hielten inne.
Orlando faltete vor sich die Hände, am kleinen Finger trug er jeweils einen Goldring. »Du lässt dich wegen Nagel noch immer
aus der Fassung bringen, van Heerden?«
»Du weißt verdammt noch mal nichts über Nagel, Orlando.« Seine Stimme klang schrill, seine Hände zitterten. Er war auf die
Stuhlkante vorgerutscht.
Orlando legte das Kinn auf seine verschränkten Hände, seine schwarzen Augen schimmerten. »Entspann dich«, sagte er ruhig.
Die Leibwächter hielten den Atem an.
Beruhige dich, du kannst hier nicht ausrasten, nicht jetzt, nicht hier, langsam zog sich die rote Flutwelle zurück, tief durchatmen,
er spürte seinen Herzschlag, langsamer. Langsamer.
|105| »Du musst loslassen, van Heerden«, sprach Orlando mit sanfter Stimme. »Wir alle machen Fehler.«
Langsam durchatmen.
»Wer ist Nieuwoudt?«
Orlandos Augen und Hände rührten sich lange nicht, er dachte nach. »Charles Nieuwoudt. Ein Bure. Weißer Abschaum. Sitzt seit
zehn Jahren ein, hat sogar Mandelas Geburtstagsamnestie verpasst.«
»Ein Fälscher.«
»Einer der besten. Ein Tier, aber ein Künstler. Aber er wurde
Weitere Kostenlose Bücher