Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
angekommen und gehst langsam unter … Das ist doch schlimmer als Schweinescheiße, van Heerden. Warum
gehst du nicht zur Polizei zurück?«
Das war der allgemeine Konsens über sein Leben. Aber sie wussten nichts, sie verstanden nichts, es mangelte ihnen an Einsicht.
Sie hatten absolut keine Vorstellung von seinem Strafmaß: Er, zu lebenslänglich verurteilt, musste es absitzen, und dann,
in einem kurzen Augenblick der Euphorie, die sich bei seinen Ermittlungen eingestellt hatte, meinte er tatsächlich davon träumen
zu dürfen, dass er entlassen werde, dass er Amnestie erhalten könnte. Wie absurd – Scheiße, wie ein Gefangener, der träumte,
er sei draußen, und dann am Morgen wieder in seiner Zelle erwachte.
|113| Er bog zu einer Tankstelle ab, entdeckte eine Telefonzelle, rief Wilna van As an.
»Die Bank sagt, es waren nie Hypotheken auf den Gebäuden. Ich hab die Übertragungsurkunden und die Briefe der Anwälte gefunden,
aber ich verstehe sie nicht ganz.«
»Wer waren die Notare?«
»Einen Moment bitte.«
Er wartete, sah die Frau vor sich, die zum Melaminschrank in ihrem Büro ging und die Dokumente holte.
»Merwe de Villiers und Partner.«
Er kannte sie nicht. »Können Sie die Dokumente an Hope faxen?«
»Ja«, sagte Wilna van As.
»Danke.«
»Der Personalausweis. Haben Sie irgendetwas herausgefunden?«
»Ich bin mir nicht sicher.« Es war Hope Benekes Aufgabe, die schlechten Nachrichten zu überbringen. Er war nur die angeheuerte
Aushilfskraft.
»Oh.« Nachdenklich, besorgt.
»Auf Wiedersehen«, sagte er, weil er das alles jetzt nicht hören wollte.
Er blätterte durch sein Notizbuch, fand Hope Benekes Nummer, warf eine weitere Münze ein und wählte.
»Sie ist in der Sprechstunde«, sagte die Rezeptionistin.
Wie eine Ärztin, verdammt noch mal,
dachte er.
»Richten Sie ihr bitte etwas aus. Wilna van As wird ihr die Übertragungsurkunden von Jan Smits beiden Gebäuden durchfaxen.
Ich möchte wissen, ob darauf Hypotheken lasteten. Sie kann mich zu Hause anrufen.«
|114| Als er aus dem Wagen stieg und zum Himmel hochblickte, sah er die Sonne hinter der nächsten Kaltfront untergehen, die vom
Meer hereinzog; die Wolkenmassen waren schwer und schwarz und überwältigend.
Langsam und vorsichtig sautierte er in der großen Bratpfanne den Knoblauch und die Petersilie, deren aromatischer Duft den
ganzen Raum erfüllte, er sog den Geruch ein, freudig und mit dem vagen, kurzlebigen Gefühl der Überraschung, dass er es noch
konnte. Aus den kleinen Lautsprechern ertönte Verdi.
La Traviata
. Musik zum Kochen.
Jan Smit war nicht Jan Smit.
Gut.
Irgendwann während oder noch vor dem Jahr des Herrn 1983 kam der ehemals unter dem Namen X bekannte Mann an amerikanische
Dollar. Illegal. So illegal, dass er eine neue Identität brauchte. Um ein neues Leben beginnen zu können. Als Johannes Jacobus
Smit. Ein Leben mit Antikmöbeln, ein Leben innerhalb des Gesetzes, eine zurückgezogene, heimliche Existenz.
Lediglich eine Vermutung.
Er öffnete die Thunfischdose, goss den Saft vorsichtig in den Abfluss des Ausgussbeckens.
Du verkaufst eine Hand voll deiner Dollar auf dem Schwarzmarkt, um das Haus und das Geschäftsgebäude zu erwerben, um die ersten
Möbelstücke anzuschaffen. Das Geschäft läuft gut. Du brauchst deine übrigen Dollar nicht. Du baust für sie einen begehbaren
Safe oder lässt ihn bauen. Wie viel war noch übrig? Viel, wenn du einen begehbaren |115| Safe brauchst. Oder musst du noch was anderes im Safe unterbringen? Amerika — der Ursprung des Drogenhandels, die Quelle der
Dollar. Musstest du den Safe bauen, um darin kleine weiße Päckchen mit Heroin oder Kokain unterzubringen, ordentlich auf den
Regalen aufgereiht, neben den Dollar? Einzelhändler, Großhändler, Mittelsmann?
Waffenhandel. Eine weitere verlässliche Quelle für große Summen an Dollar. 1982 oder’83 — die florierenden Jahre des staatlichen
Rüstungskonzerns Armscor und seinen tausend obskuren Zweigniederlassungen, während das übrige Afrika von terroristischen Akronymen
und einem unstillbaren Hunger nach Waffen geprägt war.
Der begehbare Safe war wahrscheinlich nicht groß genug. Vielleicht doch keine Waffen.
Warum? Wenn das Geschäft mit den Antiquitäten gut lief, warum hast du dann die verräterischen Beweise nicht einfach verbrannt?
Er gab den Thunfisch zum Knoblauch und zur Petersilie. Er hackte die Walnüsse, gab sie ebenfalls zu, schaltete den
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