Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
war das, was man uns in der Schule beigebracht hatte. Und wie Sie sich vorstellen
können, gehörten Betta Wandrags Gedichte nicht zum vorgeschriebenen Kanon des Unterrichtsministeriums. Da viele der Freunde
meiner Mutter sehr bekannt waren, hatte ich keine konkrete Vorstellung von der Reichweite ihres Ruhms. Jedenfalls, erst als
sie ihren dritten Gedichtband,
Körpersprache,
veröffentlichte, wurde von den Sonntagszeitungen deswegen eine Menge Staub aufgewirbelt. Aber da hatte ich bereits meine Polizeiausbildung
beendet.
Sie war, zum Zeitpunkt des großen Ereignisses, etwa Ende dreißig, groß, ihr Körper war nicht mehr jung, ihre Hüften breit,
die Beine muskulös, die Brüste üppig, das Haar lang und dicht und schwarz, und ihre Augen wirkten fast fernöstlich, |145| die Augwinkel nach unten gezogen, und ihre Haut war ein dunkles, makelloses, reines Firmament. Aber erst später speicherte
ich diese Details in meinem Gedächtnis ab, denn über die Jahre hinweg gehörte sie einfach zu den Wochenendgästen aus Johannesburg,
ein weiteres Mitglied des Freundeskreises meiner Mutter.
Ein Freitagabend. In Stilfontein. Die Zeit, in der etwas freigesetzt wurde. Der kollektive Seufzer der Erleichterung von zehntausend
Bergleuten war fast mit den Händen zu greifen, er verlieh der Stadt eine gewisse Atmosphäre, eine Energie, die sich geflissentlich
auf das strapaziöse Tun konzentrierte, es sich gut gehen zu lassen.
Meine Mutter war in Kapstadt, und ich saß auf der in der Dunkelheit liegenden hinteren Veranda und sinnierte über den Freitagabend,
den ich allein, ohne Verabredung verbringen sollte. Ich saß nur da, wie es Teenager manchmal tun, saß in einem Klappstuhl
und starrte in die Dunkelheit, nahm vage und desinteressiert die Geräusche aus der Küche wahr, in der sich Betta Wandrag aufhielt,
die zu jenen Gästen gehörte, die an den Wochenenden Mutters mangelndes Interesse an den kulinarischen Künsten kompensierte.
Ich kann mich nicht erinnern, wie spät es war, aber es war bereits dunkel. Irgendwo wummerte der tiefe Bass von Deep Purples
»Smoke on the Water« und dröhnte gegen Radio South Africas Concertina Club an, der aus einer anderen dezibelgeschwängerten
Richtung ertönte. Sicherlich waren Autogeräusche zu hören, Insekten, das Geplärre von kleinen Kindern, die irgendwo auf der
Straße unter den Laternen Cricket spielten und denen ein Mülleimer als Wicket diente.
|146| Ich saß nur da.
Bis ein neues Geräusch, verstohlen, fast nicht hörbar, mich erreichte, verblüffend weich erst, schleppend.
Aaa … aaa … aaa … aaa … aaa.
Ich konnte es zunächst nicht identifizieren, ein Geräusch, das ich bewusst aus all den anderen Instrumenten der frühabendlichen
Sinfonie herausfiltern musste, ein musikalisches Fragezeichen, ein Schallrätsel, das meine Ohren neckte und irgendwo eine
primitive Gehirnzelle stimulierte.
Stetig wurde es lauter.
Aaa … aaa … aaa … aaa … aaa.
Kurze, sprunghafte Schreie, nein, Ausrufe, rhythmisch, fleischlich und voll tiefer Lust. Bis ich sie einordnen konnte, bis
die Töne vor meinen Augen ein Bild entsehen ließen, bis eine wunderbare Einsicht mich erfüllte. Baby Marnewick. In ihrem Garten.
Fickend.
Al fresco.
Die Erkenntnis wuchs langsam und dramatisch. Gebrochen von einem Kaleidoskop an Perspektiven. Jemand tat mit dem Objekt meiner
Fantasien, wonach ich mich so lange gesehnt hatte. Ich verspürte Eifersucht, Neid, Hass. Sie hinterging mich. Aber ich verspürte
auch den bezaubernden, verhexenden Rausch ihrer Wonne, ihres völligen Vergessenseins gegenüber dem, was sie tat. Das Tempo
und die Tonhöhe jedes »aaa« stieg leicht an, ein Liebesbolero, ein Tanz der puren, silbrigen Lust, weiter und weiter im vollkommenen
Rhythmus, eine Frau, völlig versunken im intensiven Erleben ihres Körpers.
Ich weiß nicht, wie lange Betta Wandrag in der Küchentür gestanden hatte. Ich nahm sie nicht wahr. Meine Hand steckte in meinen
Shorts und massierte gedankenlos, instinktiv die |147| drängende Reaktion meines Körpers auf die sexuelle Sinfonie, meine Ohren ausschließlich auf die sich wiederholenden Geräusche
hinter dem Gartenzaun gerichtet,
aaa … aaa … aaa …
und dann kroch, rhythmisch, ein neuer Ton in die Laute, anfangs kontrapunktisch am Ende jeder
aaa -
Zeile, später ein integraler Bestandteil von Baby Marnewicks Liebeslyrik.
Aaa … aaa … uh … aaa … aaa … aaa … uh
, jetzt laut und
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