Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
beschäftigt, als es an der Tür klopfte. Meine Mutter öffnete, ich konnte ihre
Worte nicht verstehen, aber der Ton ihrer |168| Stimme ließ mich ins Wohnzimmer gehen, und dort stand mein Detective, mein Louis-L’Amour-Samariter, und plötzlich rutschte
mir das Herz in die Hose, denn meine Mutter wirkte geschockt.
»Sir …«, sagte ich und schluckte, und dann sagte meine Mutter: »Baby Marnewick ist tot, Zet.«
Er tat so, als kannte er mich nicht, und erst, als er ging, drückte er mir die Schulter, sah mich an und ließ mir ein schmales
Lächeln zukommen. Doch zuvor stellte er seine Fragen. Hatten wir nichts gesehen? Irgendwas gehört? Was wussten wir über die
Marnewicks?
Und ich saß da mit meinen Fantasien, meinem intimen Wissen und Voyeurismus und bestätigte die negativen Antworten meiner Mutter.
Wir wussten nichts.
Die Einzelheiten erfuhren wir später. Von Nachbarn und der
Klerksdorp Gazette
und der
Vaderland
und dem
Volksblad
und sogar von der
Sunday Times
. Durch den grausamen Sexualmord kam Stilfontein landesweit in die Schlagzeilen. Ich las die Zeitungsberichte ich weiß nicht
wie oft und lauschte mit höchster Aufmerksamkeit jeder Neuigkeit, die man zu hören bekam.
Die Einzelheiten beunruhigten mich. Zum Teil lag dies an meinen schmutzigen Gedanken über Baby Marnewick. Und der Tatsache,
dass sie mich mit dem Mörder verbanden, der, von Lust getrieben, zugestochen und aufgeschlitzt hatte. Denn auch ich hatte
Lustgefühle gehegt — und mochten unsere Fantasien noch so unterschiedlich gewesen sein.
Zum anderen aber lag es auch daran, dass ein Mensch, jemand aus Stilfontein, einer von uns, zu einer so abscheulichen Tat
fähig gewesen war.
|169| Er wurde nicht gefasst. Es gab keine Fingerabdrücke. Baby Marnewicks Leiche, ihr Hintern, ihr Rücken, war von Sperma überzogen,
doch geschah dies Jahre vor den DNS-Analysen und dem langen Arm der Teströhrchen, womit man über Rasse und Geschlecht und
Blutgruppe hinweg auf das unverwechselbare Gepräge des menschlichen Körpers zugreifen konnte, womit man mikroskopische Fasern
von Stofffetzen entschlüsseln und Menschen eingehender sezieren konnte als mit einem Skalpell.
Es gab Gerüchte. Boet Marnewick wurde verdächtigt, doch das war Unsinn, hatte er sich zum Zeitpunkt des Mordes doch einen
Kilometer unter der Erde aufgehalten. Es gab Gerüchte über einen Mörder, der sich auf der Durchreise befunden haben soll.
Eine andere Geschichte betraf einen Mann aus ihrer Vergangenheit, aus Johannesburg, und selbst der Schotte, dem Boet sie weggenommen
hatte, wurde angeführt.
Aber der Mörder wurde nie gefasst.
Tag für Tag starrte ich auf den Holzzaun und dachte an die seltsamsten Dinge. Wäre Betta Wandrag nicht dazwischengekommen,
hätte ich dann vielleicht am Zaun gelauscht? Vielleicht etwas gehört, das Baby Marnewick das Leben hätte retten können? Und
ich fragte mich, warum. Wie? Wie konnte jemand so etwas tun? Wie konnte man einen so brutalen Mord begehen, so skrupellos,
so blutig und grausam? Und wer?
Wer konnte so etwas geplant haben? Denn laut den Gerüchten hatte er das Kreppband mitgebracht, hatte er Handschuhe getragen.
Ein vorsätzlicher, geplanter Mord.
Gegen Ende des Jahres legte mir Mutter die Antragsformulare |170| für die Universität in Potchefstroom vor, machte es sich bequem und sagte, wir hätten uns lang genug Gedanken über meine Zukunft
gemacht, nun sei es an der Zeit, an die Universität zu gehen und Entscheidungen zu treffen. Denn es sei besser, erst das Studium
hinter sich zu bringen und dann die Wehrpflicht, da aus Universitätsabsolventen schnell Offiziere würden, auch wenn ich nur
Lehrer werden wollte.
»Ich gehe nicht an die Universität, Ma.«
»Du machst was?«
»Ich gehe zur Polizei.«
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Operative Fallanalyse. Profiling.
Johannes Jacobus Smit war gefesselt, gefoltert und dann ermordet worden, weil er die Kombination des Safes verraten sollte
und nachher einen unnötigen und nicht gern gesehenen Zeugen abgegeben hätte. Das Motiv war bekannt, der
modus operandi
klar. Das Profil einfach. Ein Dieb, der es nur auf das eine abgesehen hatte. Jemand, der zu Folter und Mord fähig war. Ein
Psychopath, Soziopath, zumindest mit einigen Symptomen davon.
Das Verhalten prägt die Persönlichkeit. Das hatte man ihm in Quantico beigebracht. Während seiner drei Monate in Amerika.
Die Magie des Profiling aber bestand darin, dass man dadurch die anscheinend motivlosen
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