Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
ist ein amerikanisches Gewehr, Mike.«
»Eine Militärwaffe. Das Gewehr der Infanterie seit Vietnam. Eine gute Waffe. Bis zu 950 Schuss in der Minute auf Vollautomatik.
Leicht. Von knapp unter drei bis knapp vier Kilogramm. Unterschiedliche Modelle. M16, M16A1, M16A2, M-4 Karabiner, La France
M16K Maschinenpistole, 5,56er Kaliber, das ganze Zeug. Deshalb ist das ja auch so seltsam, sie ist hier nicht sonderlich beliebt.
R1 und AK47 verschießen 7,62er, die Munition ist überall erhältlich.«
»Wer benutzt sie dann, Mike?«
De Villiers blickte ihn an, seine Augen waren nun geöffnet. Nagel hatte ihn nie gebeten, Spekulationen anzustellen.
»Woher soll ich das wissen, Captain?«
»Haben Sie sich darüber so Ihre Gedanken gemacht?«
Die Augen schlossen sich wieder. »Ja.«
»Und was glauben Sie, Mike?«
De Villiers zögerte lange, die Augen geschlossen. Dann schlug er sie auf.
»Das ist keine gute Waffe, um in ein Haus einzubrechen, Captain. Sie ist groß, auch wenn sie leicht ist. Das ist eine Waffe
für das Schlachtfeld, für die Sümpfe im Fernen Osten und die Wüsten des Nahen Ostens, eine Waffe, um draußen, im Freien zu
töten, nicht in geschlossenen Räumen. Wie will man sie in einem Vorort unter der Jacke verstecken? Sie eignet sich nicht für
kurze Distanzen, in einem Haus, Captain. Ein Revolver wäre da besser.«
»Was ist Ihre Meinung, Mike?«
Die Augen, die seltsamen hypnotischen Augen schlossen sich wieder. »Es gibt einige Möglichkeiten, Captain. Man |165| will einschüchtern, Menschen haben Angst vor großen Waffen. Die M16 ist in jedem Film zu sehen. Oder sie ist deine einzige
nicht registrierte Waffe, und du willst keine Spuren hinterlassen. Oder du bist Amerikaner. Ein amerikanischer Soldat. Oder
…«
Die Augen waren offen. Er schüttelte langsam den Kopf, als wollte er es dabei belassen.
»Oder?«
»Ich weiß nicht …«
»Sagen Sie’s mir, Mike.«
»Söldner, Captain. Auf dem Schwarzmarkt in Europa bekommt man die M16 ebenso wie die AK. Söldner. Viele von denen mögen sie.
Aber …«
»Aber?«
»Was sollte ein Söldner in Durbanville treiben, Captain?«
Martha de Villiers erschien mit dem Kaffee, und irgendwo ertönte das deutliche Gezwitscher einer Kapbeutelmeise im Sonnenlicht.
Als er wegfuhr, standen Mike und Martha de Villiers vor dem Haus, die dralle Frau hatte den Arm um die Hüfte ihres Ehemanns
gelegt, ein Ehepaar in Bothasig, in einer Straße mit netten Gärten und hässlichen Betonmauern und Kindern auf Fahrrädern und
dem dumpfen Dröhnen von Rasenmähern, die an diesem Wintermorgen das Geschenk des Sonnenlichts nutzten, und er fragte sich,
warum nicht auch sein Leben so war, mit Frau und Kindern und einer kleinen Burg mit einer kleinen Kneipe ums Eck und einem
Mischlingsköter und einer Karriere und einem Darlehen für das Haus.
|166| Das war, irgendwann in der Vergangenheit, eine Möglichkeit gewesen.
Was hatte ihn dazu getrieben, die falschen Abzweigungen ins Nichts zu nehmen, sich die Sackgassen auszusuchen? Die Straßenschilder
waren so deutlich, so verlockend gewesen.
War es nicht das, was er sich wünschte, fragte er sich plötzlich. Frau und Kinder und einen Rasenmäher?
Ja
, dachte er.
Ja, verdammt noch mal, ja.
|167| 18
Boet Marnewick fand den knienden Leichnam seiner Frau im Wohnzimmer. Ihre Hände waren mit Kreppband auf dem Rücken gebunden,
die Füße mit einem Seidenstrumpf gefesselt. Sechsundvierzig Stichwunden, mit einem spitzen Gegenstand zugefügt, in Bauch und
Rücken, die Brustwarzen abgeschnitten, die Genitalien bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Überall war Blut, im Schlafzimmer,
in der Küche, im Wohnzimmer. Ein Mord, der die Gemeinde erschütterte, der Angst und Hass auslöste und noch in den Jahren danach
für Gesprächsstoff sorgte. Stilfontein war ein raues Pflaster, eine Stadt, in der man Alkoholsucht und das Verprügeln von
Ehefrauen, Unmoral und Ehebruch und Körperverletzung kannte und dafür Verständnis zeigte. Selbst Totschlag kam vor. Und gelegentlich
ein Mord. Aber nicht diese Art von Mord. Der tödliche Schlag im heißblütigen, trunkenen Augenblick nach einem Alkoholexzess,
das konnte man verstehen, hin und wieder.
Aber das hier war eine kaltblütige Tat, ausgeführt von einem Fremden, einem Eindringling, einem Dieb, der sich Zeit ließ und
mit geplanter Boshaftigkeit eine wehrlose Frau verstümmelte und tötete.
Ich war in meinem Zimmer und mit Hausaufgaben
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