Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
fühlte. Nicht mit ihrem Körper, nicht mit der Person, die sie war.
Also tat sie zwei Dinge. Sie verließ Kemp, Smuts und Breedt. Und begann mit dem Joggen. Und so war sie jetzt hier am Blouberg-Strand,
schlank, durchtrainiert und ohne Richard — und vage an einem vierzigjährigen labilen Ex-Polizisten interessiert (wie alt war
er wirklich?), eine unmögliche Möglichkeit.
Weil er so anders war als Richard? Weil man nie wusste, woran man mit ihm war, weil er so verletzlich erschien? Weil seine
Mutter …
Sie hätte ihr mal ordentlich die Meinung sagen sollen.
Plötzlich verschwand die Sonne. Sie sah hoch. Eine dunkle |178| Wolkenbank über der Bucht, über dem Berg. Eine weitere Front. Es war ein kalter Winter. Nicht so wie letztes Jahr. Ständig
änderte sich das Wetter, manchmal schien kaum die Sonne, dann wieder seltene, kristallklare Tage zwischen den Regenschauern.
Er ging in der Moreletta Street wie ein Vertreter von Haus zu Haus und stellte Fragen.
Niemand kannte Johannes Jacobus Smit. »Sie wissen doch, wie das ist, man lebt so für sich.«
Die Häuser zu beiden Seiten des von Smit und van As bewohnten Gebäudes: »Manchmal plauderten wir über den Zaun hinweg. Sie
waren sehr ruhig.«
Keiner hatte etwas gesehen oder gehört. »Ich dachte, ich hätte einen Schuss gehört, aber vielleicht war es auch was anderes.«
Jeder war höflich, ohne freundlich zu sein, fühlte sich nicht ganz wohl, der gewohnte samstägliche Ablauf war gestört, aber
jeder war neugierig. »Haben Sie was rausgefunden?« »Haben Sie jemanden geschnappt?« »Wissen Sie, warum er erschossen wurde?«
Denn von dort ging die Bedrohung aus. Einer von ihnen war auf grausame Weise ermordet worden, ein Mord, der viel zu nah an
ihrer persönlichen Schutzzone geschehen war, was eine schmale Bresche in der Bastion ihrer weißen Mittelklasse-Sicherheit
geschlagen hatte. Und als er verneinte, zeigten sie ein besorgtes Stirnrunzeln, gefolgt von einem Moment des Schweigens, als
wollten sie, dass Smit es irgendwie verdient gehabt hatte. Denn solche Dinge geschahen nicht einfach so.
Und dann, bevor er mit der Runde fertig war, ließ er es sein und fuhr nach Philippi, um sich mit Willie Theal zu treffen.
|179| Theal, der ihn angerufen und ihm gesagt hatte, »komm und arbeite für mich«. Theal, der ihn getröstet hatte, als sein Leben
wie ein überreifer blutiger Granatapfel aufgeplatzt war, und er hatte den Trost angenommen, weil er ihn gebraucht hatte. Doch
damit hatte er sie alle getäuscht. Seine große Täuschung, denn er war schon immer ein Stück Dreck gewesen, angefangen vom
ersten Diebstahl, als er mit seinen Augen und Gedanken durch den Holzzaun hindurch gestohlen hatte, als er Nagel bestohlen
hatte, der Dreck war immer in ihm gewesen, gleich unter der Oberfläche, wie Lava, hatte ständig vor sich hin geschwelt, gebrodelt
und nur darauf gewartet, dass sich im Fels ein Riss auftat, damit er wie ein Vulkan durch die weiche Kruste seiner Welt hindurch
ausbrechen konnte.
Er bremste abrupt.
Es war nicht genügend Zeit.
Plötzlich wurde ihm bewusst: fünf Tage noch.
Das reicht nicht.
Angenommen, er redete mit Theal. Scheiße, er hatte keine Angst, dadurch würde aus ihm kein besserer oder schlechterer Mensch
werden. Der Grund war nicht, dass er vor den Geistern Angst hatte, die Theal heraufbeschwören würde.
Es würde keine Rolle spielen. Denn er hatte einfach zu wenig. Zu wenig Informationen, zu wenig Zeit.
Und daran würde sich auch nichts ändern. Theal würde ihm erzählen, wie und wo man in den Achtzigern Dollar wechseln konnte.
Oder vielleicht auch nicht. Und was dann? Wer würde sich nach fünfzehn Jahren noch an Johannes Jacobus X erinnern? Er konnte
Charles Nieuwoudt im Pollsmoor-Gefängnis oder im Victor Verster oder in welchem Gefängnis er gerade einsitzen mochte einen
Besuch |180| abstatten und ihn fragen, ob er den Personalausweis gefälscht hatte, und was würde er dafür bekommen?
Nichts. Nicht in fünf Tagen.
Denn Nieuwoudts Gehirn war von Drogen zerfressen, es war fünfzehn Jahre her, und er würde sich an nichts erinnern.
Das war das Problem. Der Fall lag nicht neun Monate zurück. Sondern über fünfzehn Jahre. Jemand hatte gewusst, dass sich in
diesem Safe etwas befand, das es wert war, dafür einen Mord zu begehen. Er wusste nicht, was es war. Er konnte es ruhig zugeben.
Er hatte nicht die geringste Ahnung, was sich darin befunden hatte. Er konnte aufgrund eines
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