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Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman

Titel: Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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»Wollen Sie, dass wir uns wieder darüber streiten? Sie teilten mir Ihre Meinung mit, und ich akzeptiere
     sie. Ich denke, Sie haben gute Arbeit geleistet. Und ich hege große Achtung für Sie, da Sie das Geld zurückgebracht haben.
     Jemand mit weniger Integrität hätte es zugelassen, dass sich der Fall noch ewig hinzieht.«
    Er schnaubte verächtlich. »Ich bin ein Stück Dreck«, sagte er.
    Worauf sie nichts erwiderte.
    »Ich glaube, Kemp hat Ihnen noch mehr erzählt.«
    »Was hätte er mir noch erzählen sollen?«
    »Nichts.«
    Er ist wie ein Kind,
dachte sie und beobachtete ihn, während er in die Ferne starrte und seinen Kaffee trank. Sie sah erneut die Ähnlichkeit zu
     seiner Mutter, in den Augen und drum herum. Sie fragte sich, wie sein Vater ausgesehen haben mochte.
    »Irgendetwas war in diesem Safe. Das ist der Schlüssel.«
    »Es könnte alles Mögliche sein«, stimmte sie zu.
    »Genau«, sagte er. »Es würde ein Jahr dauern, bis man alle Möglichkeiten durch hat.«
    |187| »Und wenn Sie mehr Zeit hätten?«
    Er suchte in ihrer Miene nach Anzeichen von Sarkasmus und fand keine. »Ich weiß nicht. Wochen, Monate vielleicht. Mit ein
     wenig Glück. Wir brauchen Glück. Wenn sich van As an irgendetwas erinnern könnte. Oder etwas gesehen hätte. Wenn der Safe
     noch etwas enthalten hätte.«
    Für dein Glück bist du selbst verantwortlich, hatte Nagel gesagt.
    »Haben Sie noch einen anderen Fall, an dem Sie arbeiten?«
    »Nein.«
    Sie hätte so gern Fragen über ihn selbst gestellt, über seine Mutter, wer er war, warum er so war. Wollte ihm sagen, seine
     Fassade sei nicht nötig, sie wisse, was dahinter verborgen lag, sie wisse, er könne wieder der werden, der er, wie seine Mutter
     gesagt hatte, einmal gewesen war.
    »Ich gehe jetzt.«
    »Vielleicht arbeiten wir eines Tages ja mal wieder zusammen.«
    »Vielleicht.« Er stand auf.

|188| 20
    Ich muss zugeben, dass ich noch immer fasziniert bin von den kleinen Abzweigungen des Lebens, den Weggabelungen, die nur selten
     ausgewiesen sind, an denen kaum je ein Straßenschild steht. Und die erst in der Rückschau als solche erkennbar werden.
    Ich wurde Polizist, weil ich an einem Samstagnachmittag durch ein Loch in einem Holzzaun gespäht hatte. Ich wurde Polizist,
     weil mir ein Detective mit herzlicher Strenge eine zweite Chance gegeben hatte — eine Vaterfigur? Ging ich zur Polizei, weil
     mein Vater jung gestorben war? Wäre ich ihr beigetreten, wenn es mich nicht nach Baby Marnewick gelüstet hätte? Wenn Baby
     Marnewick nicht umgebracht worden wäre?
    In jener Zeit lief im Kino eine Gauloise-Werbung. Ein französischer Künstler entwarf auf Papier eine vertrackte Kreide- oder
     Bleistiftzeichnung. Zunächst sah es so aus, als würde er eine nackte Frau skizzieren — die vollen Brüste, Hüften, die Taille.
     Doch er zeichnete weiter, und aus der Frauengestalt wurde ein harmloser Franzose mit Barett, Bärtchen und Zigarette.
    Die Wegkreuzungen, die Straßenschilder, die Meilensteine werden erst dann sichtbar, wenn das Bild vollendet ist.
    Ich wurde Polizist.
    Mit dem Segen meiner Mutter. Ich glaube, sie vermutete, |189| dass es etwas mit dem Mord an Marnewick zu tun hatte, doch ihre Sicht war reine Spekulation und falsch. Ich nehme an, sie
     hegte andere Träume für mich, aber sie … war meine Mutter, sie unterstützte mich.
    Was soll ich über die Polizeischule in Pretoria erzählen? Junge Männer in dunkelblauen Uniformen aus jeder Gesellschaftsschicht,
     die hier zusammengeworfen wurden. Wir paradierten und lernten und benahmen uns abends wie junge Stiere, stritten uns und redeten
     Unsinn und lachten und träumten von mehr Sex und weniger körperlichem Drill. Wir paradierten und schwitzten in Klassenzimmern
     ohne Klimaanlage und machten Betten mit perfekten Kanten und lernten zu schießen.
    Ich will ehrlich sein. Der Rest meines Jahrgangs lernte zu schießen. Ich sagte mir, Augen zu und durch, und schaffte es schließlich
     mit der geringstmöglichen Punktzahl, den Kurs zu bestehen. Von Anfang an waren Schusswaffen meine Achillesferse, meine Nemesis
     als Polizist. Es war unerklärlich. Ich liebte den Geruch von Waffenöl, das Schimmern des schwarzen Metalls, die kalten, funktionalen
     Linien. Ich nahm die Waffen mit derselben Begeisterung und demselben Gefühl der Macht zur Hand wie die anderen Rekruten, gebrauchte
     sie und feuerte sie ab. Doch die Projektile, die ich losschickte, wenn ich den Abzug durchdrückte, die physikalischen

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