Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
Kräfte,
die ich damit in Bewegung setzte, erreichten nicht die Wirksamkeit wie die aller anderen. Man zog mich ständig damit auf,
doch tat dies meinem Ego keinen Abbruch, denn meine Leistungen in den Prüfungen und Tests ließen die Waagschalen des gegenseitigen
Respekts in die andere Richtung ausschlagen. In der Theorie, auf Papier, |190| konfrontiert mit einer Reihe von Fragestellungen, tat es mir keiner gleich.
Und dann war die Ausbildung vorüber, und ich war ein Constable in Uniform und bat darum, nach Stilfontein oder Klerksdorp
oder Orkney versetzt zu werden, der Himmel weiß, warum, und wurde schließlich nach Sunnyside in Pretoria geschickt. In den
folgenden zwei Jahren sperrte ich betrunkene Studenten ein, kümmerte mich um Ruhestörungen, glättete in tausend Wohnungen
die überschwappenden ehelichen Wogen, nahm Autoeinbrüche auf und verbrachte meine Zeit im Dienstzimmer, wo ich, immer und
immer wieder, Polizeiformulare auszufüllen lernte und so zu den Tonnen von Papier beitrug, die die Gerechtigkeit dokumentierten.
Und ich galt als der Constable mit dem Faible für klassische Musik, der las (aber beschissen schlecht schoss). Für die Sunnyside-Dienststelle
der Polizei war ich das, was der Teddybär für die Centre-Line eines High-School-Rugbyteams ist: eine Art Totem, ein Schutz
gegen die Finsternis des völligen kulturellen Verfalls in einem Stadtviertel des grauen Verbrechens.
Denn darin bestanden unsere alltäglichen Aufgaben: Wir hatten nichts mit den grellen Farben der in Hass begangenen Gräueltaten
zu tun, sondern mit der öden Welt der weißen Angestellten und ihrer kleinen Verfehlungen, mit den menschlichen Schwächen,
die auf dem farblosen Teil der Polizeipalette angesiedelt waren.
Ich wohnte in einer Studentenbude mit einem Einzelbett und einem Tisch und einem Stuhl, den mir meine Mutter gegeben hatte,
aus Ziegelsteinen und Brettern baute ich mir ein |191| Bücherregal und sparte drei Monate lang auf die Anzahlung eines Defy-Herds. Aus Zeitschriften lernte ich zu kochen, ich las
fast jedes Buch aus der Bibliothek und übernahm Schichten, bei denen das Liebes- oder Sozialleben zwar zu kurz kamen, aber
es genügte für die enorme Zahl junger einsamer Mädchen in Sunnyside, sodass ich mich glücklich schätzte, wenn ich ein oder
zwei oder drei Nächte im Monat wilden, verkrampften, verzweifelten Sex ergatterte. Sie alle gruben nahezu ausnahmslos Kratzspuren
in meinen Rücken, als wollten sie ein Zeichen hinterlassen, das die kurze Flamme der körperlichen Leidenschaft überdauerte.
Es gab Zeiten, in denen konnte ich mich nicht erinnern, warum ich Gesetzeshüter geworden war. Dazu musste ich erst wieder
an Stilfontein zurückdenken, wieder am Holzzaun der Scham stehen, um aus dem Quell der Inspiration trinken zu können.
Das alles war nur vorübergehend, ein sinnloses Dasein, ein Übergangsritus, ein Zeitraum, der mich prägte, verschwendete Jahre,
Jahre des Wachsens, des Erwachsenwerdens.
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Für dein Glück bist du selbst verantwortlich.
Er fuhr nach Table View, der Regen nieselte auf die seichte Lagune, fühlte sich unwohl, war unzufrieden mit sich, mit Hope
Beneke. Er wusste, sie wusste etwas und wollte es nicht sagen. Kemp, der wahrscheinlich die alten Gerüchte aufwärmte, das,
was jeder sich dachte — dass er Nagel hatte sterben sehen und daran kaputtgegangen war.
Ha!
Ihm war unwohl wegen der Ermittlungen, es gab etwas, was er übersehen hatte, er wusste genau, irgendwo gab es etwas. Irgendwas,
was van As gesagt hatte, etwas in O’Gradys Akten.
Für dein Glück bist du selbst verantwortlich.
Ihm war unwohl, aber er war kein Loser. Was sein Leben betraf, ja, aber das war was anderes. Die Chancen standen schlecht,
die Sache war erledigt, der Täter — einfach ein weiterer Mörder, der wie so viele andere noch frei herumlief, ein weiterer
Eintrag für die Statistik. Das kam vor, das war ihm klar, manchmal gab es eben nicht genügend Hinweise, oder es fehlte das
Glück.
Er brauchte viel Glück in diesem Fall; was er brauchte, war eine Explosion, ein verdammtes Stück Dynamit, mit dem er die Spinnweben
der fünfzehn Jahre wegblasen, das Geheimnis des Johannes Jacobus Smit aufsprengen, mit dem er den |193| Staub wegwischen konnte, sodass sich die Fakten, die Knochen und Fossilien vom Gestein unterscheiden ließen.
Wie zum Teufel konnte er bei dieser Sache sein Glück erzwingen?
Wie konnte er mehr
Zeit
gewinnen?
Zeit
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