Todes Kuss
Guardi-Kopie. „Die Technik ist gut“, stellte er fest. „Aber es ist offensichtlich, dass Lady Ashton lieber etwas anderes zeichnen würde. Gehen Sie mit ihr in die antike Abteilung. Die Ausstellungsstücke dort interessieren die Dame weitaus mehr als die Darstellung venezianischer Feste. Wirklich, Sie sollten mehr Rücksicht auf die Wünsche derer nehmen, von denen Sie bezahlt werden, Pontiero.“
„Sie reden schon wieder vom Geld“, meinte mein Lehrer. „Immer denken Sie nur ans Geld.“ Doch er lachte dabei. „Lady Ashton möchte die Seele der Kunst erfassen. Und dazu muss sie hier beginnen.“
„Unsinn“, widersprach Attewater. Dann wandte er sich mir zu: „Sie waren mit Viscount Ashton verheiratet?“
„Ja, mein Gemahl starb vor beinahe zwei Jahren während einer Afrikareise.“
„Ich habe davon gehört. Bitte, gestatten Sie mir, Ihnen mein aufrichtig empfundenes Beileid auszudrücken. Lord Ashton war ein großzügiger Förderer der Kunst.“
„Danke.“ Ich überlegte, wie ich das Thema wechseln konnte. „Haben Sie ein Studio in Paris?“
„Nein, ich ziehe es vor, in London zu arbeiten.“
„Nebel und Schmutz tragen dazu bei, seinen Werken eine antike Patina zu verleihen“, scherzte Pontiero. Danach musterte er mit gerunzelter Stirn meine Zeichnung. „Wir machen Schluss für heute. Mir scheint, Sie können sich nicht länger konzentrieren. Vielleicht hat Mr Attewater Lust, uns ein paar seiner antiken Lieblingsstücke zu zeigen? Möglicherweise gestattet er Ihnen sogar, das Objekt auszuwählen, das er als Nächstes kopiert.“
„Vielleicht sollte ich selbst ihm den Auftrag für eine Kopie erteilen.“
„Geben Sie Ihr Geld lieber Sisley oder Renoir. Deren Werke sind wenigstens Originale.“
„Das stimmt“, gab ich zu. „Aber wenn Mr Attewater etwas wirklich Schönes schaffen kann, mit dem er Menschen beeindruckt und beglückt, dann tut es meiner Meinung nach nichts zur Sache, wen oder was er sich zum Vorbild genommen hat.“
Damit hatte ich offenbar etwas ganz und gar Falsches gesagt.
„Für eine gute Kopie reicht eine gute Technik“, brauste Pontiero auf. „Ein Künstler jedoch braucht mehr als handwerkliches Geschick. Es ist die Idee, der kreative Prozess, der ein Kunstwerk ausmacht. Deshalb kann nur ein Original wirklich brillant sein.“
Mr Attewater begann zu lachen. „Ich möchte wetten, dass Sie meine Werke nicht von denen der alten Griechen unterscheiden können.“
Sie stritten weiter, bis wir die griechische Abteilung erreichten. Gleich darauf blieben wir vor einer wunderschönen Skulptur der Göttin Artemis stehen.
„Gefällt sie Ihnen?“
„O ja!“, rief ich.
„Und Sie, Pontiero, würden Sie das Werk als brillant bezeichnen?“
„Durchaus! Und nun behaupten Sie bitte nicht, es wäre von Ihnen, Attewater. Kein Mensch würde Ihnen glauben.“
„Es handelt sich um die Kopie einer Skulptur des griechischen Bildhauers Leochares, die ein unbekannter Römer angefertigt hat.“
„Somit ist es ein antikes Stück.“
„Ja, aber eines, das ohne die eben von Ihnen heraufbeschworene kreative Idee hergestellt wurde. Eine Kopie eben. Man könnte sogar sagen, es ist eine Fälschung.“
Die Diskussion hatte mich ein wenig verwirrt, und ich spürte das Bedürfnis, mit mir allein sein zu wollen, um meine Gedanken zu ordnen.
„Sie sollten unbedingt nach Athen reisen, um sich im dortigen Museum die echten griechischen Stücke aus der Antike anzuschauen“, meinte Attewater.
„Ich denke, Rom würde Ihnen besser gefallen“, widersprach Pontiero.
Ehe mein Lehrer einen seiner Monologe halten konnte, unterbrach ich ihn, indem ich mich an Attewater wandte. „Glauben Sie, Ihre Kopien könnten einst auch als eigenständige Kunstwerke betrachtet werden, so wie diese römische Nachbildung einer griechischen Statue?“
Er kam nicht dazu zu antworten, denn in diesem Moment bog Colin Hargreaves um die Ecke. Kaum bemerkte er ihn, da verabschiedete Attewater sich in aller Eile von uns.
Ich hingegen freute mich, Colin zu sehen.
Der begrüßte Pontiero und mich mit einer Verbeugung. Wir unterhielten uns noch eine Weile, ehe mein Lehrer erklärte, er müsse aufbrechen, da ein anderer Schüler auf ihn warte. Sogleich bot Colin sich an, meine Zeichenutensilien zu tragen. Danach verließen wir den Louvre und begaben uns zum Hotel.
„Verzeihen Sie mir meine offenen Worte, Emily. Ich wünschte, Sie wären etwas vorsichtiger bei der Auswahl Ihrer Bekannten“, begann
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