Todes Kuss
Palmer mich nach einer Abhandlung gefragt hat, die mein Mann verfasst haben soll. Ich habe ganz vergessen, nach dem Manuskript zu suchen.“
„Wofür braucht er die Studie denn?“
„Er möchte sie überarbeiten und sie dann in Erinnerung an Philip veröffentlichen lassen.“
„Eine gute Idee.“
Die Kutsche wurde langsamer, und Cécile schaute mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster. „Ich fürchte, dies wird kein besonders interessanter Abend.“
Glücklicherweise täuschte sie sich. Mr Bennetts Haus ähnelte einem Museum, denn der Gentleman besaß nicht nur eine große Gemäldesammlung. Von seinen vielen Reisen hatte er auch Andenken aus aller Welt mitgebracht. Mich beeindruckte das alles sehr, obwohl ich nicht behaupten möchte, dass sein Heim geschmackvoll eingerichtet war.
Ich betrachtete gerade eine Holzschnitzerei, als eine helle Stimme hinter mir rief: „Lady Ashton, wie schön, dass Sie auch hier sind!“
Erfreut begrüßte ich Miss Seward. Die junge Amerikanerin hatte auf Ivys Dinnergesellschaft im Café Anglais mit ihren modernen Ideen für einige Aufregung gesorgt. Einen der älteren Gäste hätte beinahe der Schlag getroffen, als er hörte, wie sie mir vorschlug, Altgriechisch zu lernen, um Homer im Original lesen zu können.
„Ich wollte Sie eigentlich einmal besuchen, doch bisher fehlte mir die Zeit dazu“, fuhr Margaret Seward fort.
In diesem Moment trat Cécile zu uns. Ich stellte die beiden einander vor und bemerkte sogleich, dass sie sich sympathisch waren.
„Kallista hat mir schon von Ihnen berichtet, Margaret“, sagte Cécile, während sie die Amerikanerin ungeniert von Kopf bis Fuß musterte. „Sie tragen da ein bemerkenswertes Kleid. Ich werde mich später mit Ihnen darüber unterhalten.“ Mit diesen Worten war sie auch schon wieder fort.
„Glauben Sie, dass ich Madame du Lac mit meiner Garderobe vor den Kopf gestoßen habe?“, fragte Miss Seward leicht verunsichert.
Ich schüttelte den Kopf. Auch ich hatte Margarets Kleid im Empire-Stil, das zwar nicht der herrschenden Mode entsprach, aber sehr bequem wirkte, bereits bewundert. Es stand ihr hervorragend. Doch am auffälligsten war, dass es ohne einengendes Korsett getragen werden konnte, was ich mir überaus angenehm vorstellte. „Ich glaube eher, dass Madame du Lac sich eine ähnliche Robe schneidern lassen möchte“, erklärte ich.
„Das wiederum beweist ihren guten Geschmack.“ Margaret lachte. „Kommen Sie, Kallista, wir wollen uns ein Glas Champagner holen.“ Sie winkte einen Lakaien herbei. „Wie geht es mit Ihrem Studium der Ilias voran?“
„Recht gut. Und ich überlege tatsächlich, mir einen Griechischlehrer zu suchen, wenn ich erst zurück in London bin. Bis dahin muss ich mich wohl noch mit der Lektüre der verschiedenen Übersetzungen zufriedengeben. Deren Vor- und Nachteile würde ich gern einmal mit Ihnen diskutieren. Haben Sie Zeit und Lust, mich morgen Nachmittag zu besuchen?“
„Gern! Doch nun muss ich erst einmal meinen amerikanischen Freunden guten Abend sagen.“
Nachdem Margaret Seward davongeeilt war, machte ich mich auf die Suche nach Ivy und fand sie an der Seite von Robert. Die beiden unterhielten sich mit Andrew Palmer.
Der hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken und brachte sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass wir uns so lange nicht gesehen hatten. „Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, Ihnen persönlich mein Beileid zum Tod Ihres Gemahls auszudrücken. Philip war ein wundervoller Mensch und ein guter Freund.“
„Danke. Ich bin sicher, dass er sehr froh darüber war, Menschen zu kennen, die seine Interessen teilten“, erwiderte ich und stellte erstaunt fest, dass ich inzwischen über Philip sprechen konnte, ohne mich unbehaglich oder gar wie eine Heuchlerin zu fühlen. „In seinen Briefen aus Afrika hat er oft erwähnt, wie viel seine Freunde ihm bedeuteten.“
„Dann hat er unsere Freundschaft ausdrücklich erwähnt?“
„Ich muss gestehen, dass ich mich nicht an jeden einzelnen Namen erinnere. Wir waren ja nicht lange verheiratet, und ich kannte viele seiner Freunde nur flüchtig oder gar nicht.“
„Ja … Wir waren alle überrascht, dass Philip seine schöne Braut so kurz nach der Eheschließung schon wieder verließ.“
„Das war keine taktvolle Bemerkung“, mischte Robert sich ein.
Palmer deutete eine Verbeugung an. „Bitte, verzeihen Sie mir, Lady Ashton.“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich weiß, dass die Afrikareise schon
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