Todesakt: Thriller (German Edition)
hat ihn umgestellt«, erklärte Harry. »Nach Lilys Tod. Er gehört eigentlich anders herum.«
Lena drehte den Sessel um. Jetzt passten die Beine in die Abdrücke. Sie setzte sich und schaute aus dem Fenster. Der Blick in Lilys Zimmer war bemerkenswert. Man konnte direkt hineinschauen und sogar die Schatulle auf dem Nachttisch neben dem Bett erkennen.
Harry stand auf und gesellte sich zu ihr ans Fenster. Er kniete sich hin, stützte die verschränkten Arme aufs Fensterbrett und blickte über die Einfahrt.
»Sie haben immer am Fenster gesessen«, sagte er, »jeden Abend, und haben miteinander telefoniert. Sie sind aufeinander abgefahren. Mir wollte nie in den Kopf, warum das kein Mensch kapiert hat.«
15
Ärger war im Anzug. Das spürte und schmeckte Lena, und sie konnte regelrecht fühlen, wie die Furcht die Klauen nach ihrem Nacken ausstreckte.
Nachdem Lena sich von Harry verabschiedet und das Haus verlassen hatte, war ihr klar geworden, dass man sie in eine zunehmend dunkle und einsame Ecke hineinmanövrierte. Die vielen ungeklärten Punkte und offenen Fragen, die sich aus diesem Durcheinander ergaben, erhöhten nur die Geschwindigkeit, mit der dieser Fall in sich zusammenstürzte.
Sie ging die schmale Einfahrt zwischen den Häusern hinauf. Die Jalousien vor Tim Hights Fenstern blieben geschlossen, und sie fragte sich, ob wohl das Sonnenlicht ferngehalten oder seine Geheimnisse in ewiger Dunkelheit unter Verschluss gehalten werden sollten. Während Lena weiterging, umfasste sie den Asservatenbeutel in ihrer Hand fester. Harry hatte ihr bei der Durchsuchung von Jakes Zimmer geholfen und kannte offenbar alle Verstecke. Unter den von Lena konfiszierten Gegenständen war auch ein Wochenplaner, den Jake seit dem Prozess geführt hatte. Außerdem fanden sie den pornografischen Roman, an dem er gearbeitet hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn in der Verhandlung gegen ihn verwendet, ihn jedoch nach dem Freispruch zurückgeben müssen.
Lena ging schneller. Sie musste unbedingt mit Vaughan sprechen. Und zwar sehr bald.
Als sie auf den Gehweg einbog, wurde ihr außerdem klar, dass sie dringend den Crown Vic loswerden musste.
Die Presseleute waren Paladino zur Gerichtsmedizin gefolgt, wo Gant seinen Sohn identifizierte. Allerdings waren einige Reporter inzwischen zurückgekehrt und machten es sich vor Tim Hights Haus gemütlich. Sie erkannte keinen von ihnen. Ein übergewichtiger Typ mit Dreitagebart und Gel im Haar benutzte Lenas Motorhaube als Schreibtisch. Er hatte den Laptop aufgeklappt und vertilgte gerade einen doppelten Cheeseburger mit einer extragroßen Tüte Fritten. Als sie näher kam, bemerkte sie aufgerissene Ketchuptütchen auf der Motorhaube und den Kotflügeln.
Sie betätigte den Türöffner. Als das Auto piepste, fuhr der Mann beinahe aus seiner schlaffen Haut.
»Was soll der Mist, junge Frau? Ich esse hier gerade zu Mittag.«
Da er mit vollem Mund gesprochen hatte, tropfte ihm eine Mischung aus Ketchup und Fett vom Kinn auf den Bauch. Lena beschloss, in näherer Zukunft keinen Cheeseburger mehr zu bestellen. Sie warf den Asservatenbeutel auf den Beifahrersitz, während sich die übrigen Reporter dem Wagen näherten. Nach ihrer Kleidung zu urteilen, waren sie vermutlich nicht von hier.
»Schmeckt das Mittagessen?«, erkundigte sie sich.
Der dicke Mann warf ihr einen schiefen Blick zu und wischte an seinem Hemd herum.
»Na klar. Wie im Ritz, trotz der Papierservietten. Wann kommt der Held denn raus? Wir wollen ein Interview.«
»Held? Wer soll das denn sein?«
»Tim Hight. Der Vater, der für seine Tochter eingetreten ist.«
Und schon stand das Motto fest: Tim Hight war zum Helden erklärt worden.
Lena sah den dicken Mann an.
»Wo ist denn Ihr Presseausweis?«
»In meiner Tasche. Was ist jetzt? Sind Sie Anwältin oder von der Polizei?«
Lena zuckte die Achseln.
»Keins von beidem. Ich komme vom Finanzamt.«
»Schon gut«, erwiderte er, während er weiter an dem Fleck herumscheuerte. »Sie sind Polizistin.«
Lena stieg ein und ließ den Motor an. Als sie den Rückwärtsgang einlegte, schien der dicke Mann endlich zu kapieren, dass er gleich seinen Schreibtisch verlieren würde. Er griff nach dem Computer und machte den Fehler, die andere Hand nach seiner Mahlzeit auszustrecken. Er packte den Hamburger und wollte sich auch die Fritten und den überdimensionalen Getränkebecher schnappen. Doch er war zu langsam. Als Lena in den ersten Gang schaltete und losfuhr, sah sie noch, wie sich
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