Todesakt: Thriller (German Edition)
der Becherinhalt über die Tastatur ergoss. Auf der Schnellstraße wurden die an der Motorhaube festklebenden Ketchuptütchen endlich weggepustet.
Lena stellte das Telefon an und fragte die in letzter Zeit eingegangenen Anrufe ab. Bei Sammy Becks Nummer drückte sie mit dem Daumen auf die Taste und hörte, dass er abhob.
»Die Zeit ist um«, verkündete sie. »Ich brauche ein neues Auto.«
Er lachte laut los. Es war ein freches Lachen. Beck besaß eine Autohandlung in Hawthorne östlich vom Flughafen. Als Lenas Prelude den Geist aufgegeben hatte, hatte sie zuerst Beck angerufen. Er war ihr zwar einen Gefallen schuldig, hatte aber bis jetzt noch nicht geliefert.
»Wo bist du?«, fragte er.
»Auf dem Weg ins Präsidium.«
»Wann bist du wieder in der Westside?«
»Heute am späten Nachmittag.«
»Dann komm vorbei.«
»Hast du was für mich?«
»Genau.«
»Echt?«
»Besser als echt. Und genau zu dem Preis, den wir besprochen haben.«
»Was für ein Auto ist es?«
»Das, was du gesucht hast, Lena. Heute ist dein Glückstag. Ich bin den ganzen Nachmittag im Laden.«
Sie hörte ihn wieder lachen, als er auflegte. Lena warf ihr Telefon auf den Sitz. Das letzte aufgerissene Ketchuptütchen rutschte die Windschutzscheibe hinauf, verlor im Wind den Halt und flog davon. Sie musste das Dienstfahrzeug loswerden. Alles, was Beck auftreiben konnte, war ihr recht – solange sie nur ihre Anonymität zurückbekam.
Die Staatsanwaltschaft residierte gemeinsam mit dem Bezirksgericht und den Pflichtverteidigern in der West Temple Street in der Innenstadt von Los Angeles. Das Gebäude war nach Clara S. Foltz benannt, der ersten an der Westküste zugelassenen Anwältin. Auch wenn das beim Anblick der Inschrift neben der Tür nie jemand vermutet hätte, denn aus irgendeinem Grund waren die meisten Buchstaben, aus denen sich Foltz’ Name zusammensetzte, vom Beton abgefallen.
Obwohl die meisten das Gebäude inzwischen als Criminal Justice Center bezeichneten, hatte es Lena schon immer gestört, dass kein Mensch Interesse daran hatte, die Buchstaben zu ersetzen. Nicht so sehr wegen Foltz’ historischer Bedeutung, sondern eher wegen der Dramen, die sich hier abspielten. Man führte Gespräche, in denen es um Leben oder Tod ging. Urteile wurden gefällt, die das Leben von Menschen einschneidend veränderten. Dass die Inschrift schon vor so langer Zeit beschädigt worden war, ohne dass es jemanden zu kümmern schien, sagte einiges über den Bezirk und seine Bewohner aus.
Greg Vaughan erwartete sie bereits am Informationsschalter, als die Aufzugtür sich öffnete. Sie hatte ihren Besuch mit einem Anruf angekündigt und hinzugefügt, dass das, was sie ihm zu sagen habe, nicht am Telefon abgehandelt werden könne, was ihm offenbar Sorgen machte. Als sie nun, am frühen Nachmittag, vor ihm stand, erkannte sie, dass er immer noch beunruhigt war.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte er sich.
Lena nickte. Sie gingen den Flur hinunter.
»Sie sehen aus, als könnten Sie einen Happen vertragen«, fuhr er fort. »Eine Sitzung ist abgesagt worden. Sie hatten ein Büfett bestellt.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte sie.
»Nun, aber ich. Vielleicht ändern Sie ja Ihre Meinung, wenn Sie sehen, was es zu essen gibt.«
Vaughan hatte das Sakko ausgezogen und die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Außerdem wirkte er nicht so erschöpft und überfordert wie heute Vormittag. Als sie ins Besprechungszimmer kamen, standen einige Staatsanwälte mit Tellern an einem langen Büfetttisch. Es war still. Auf den Tischen vor den Stühlen lagen Blöcke und Stifte, keine Gedecke. Offenbar ließen sich alle das kostenlose Mittagessen schmecken, verspeisten es allerdings im Büro am Schreibtisch.
Vaughan schenkte sich eine große Tasse Kaffee ein. Der Lieferservice hatte sich zwar selbst übertroffen, doch Lena hatte den Kopf nicht frei, um an Essen zu denken, und außerdem schon so viel Koffein intus, dass sie auf eine weitere Dosis lieber verzichtete. Sie wandte sich ab. Als sie aufblickte, stellte sie fest, dass Debi Watson sie musterte. Sie stand, einen spärlich bestückten Teller in der Hand, neben den Wassergläsern und zwang sich zu einem Lächeln – jedoch zu spät. Nach einer verlegenen Pause ging sie mit ihrem Teller hinaus.
Lena fand die Begegnung beunruhigend. So kurz sie auch gewesen sein mochte, sie hatte ihr einen Blick darauf eröffnet, wie es hinter Watsons selbstsicherer Fassade aussah. Sie hatte es in ihren
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