Todesakt: Thriller (German Edition)
eben, wenn Bürger Selbstjustiz üben und Gewalttaten begehen. So etwas konnte nur passieren, weil die Polizei von Los Angeles geschlafen hat .
Lena schaltete auf Durchzug. Paladino hatte sein Sprüchlein wie immer meisterhaft aufgesagt. Länger brauchte sie sich das nicht anzutun.
Sie wandte sich vom Fenster ab und bemerkte, dass sie die Schatulle auf dem Bett vergessen hatte. Als sie sie auf den Nachttisch legte, fiel ihr wieder das Hundefoto auf. Es war eine alte Schwarzweißaufnahme, dunkel, verschwommen, Regenwolken ballten sich im Hintergrund zusammen. Lena wollte wissen, ob ein Datum auf der Rückseite stand, und sie entfernte die hintere Verkleidung und zog ein Stück Pappe heraus. Der Schnappschuss löste sich von der Glasscheibe, und sie drehte ihn um.
Das Foto trug zwar keinen Datumsstempel, doch es klebte ein zweites Bild daran. Sie trennte die beiden Fotos voneinander und drehte das zweite um. Lange Zeit starrte sie fassungslos darauf. Dieses Foto hatte Lily Hight also in der Schatulle neben ihrem Bett versteckt!
Es war ein Foto des Mörders. Ein Foto von Jacob Gant.
14
Harry Gant machte nicht auf. Daraufhin Lena ging die Einfahrt zwischen den beiden Häusern hinauf. Er saß in der Küche und aß Frühstücksflocken aus einer Schale. Die Terrassentür stand einen Spalt weit offen, und Lena wartete nicht darauf, hereingebeten zu werden. Als sie die Tür hinter sich schloss, sah der Junge sie entsetzt an.
»Was bilden Sie sich eigentlich ein?«
»Ich hatte den Eindruck, dass Sie etwas beschäftigt«, entgegnete Lena. »Bevor Sie heute Morgen nach oben gelaufen sind, wollten Sie mir doch eigentlich etwas sagen.«
Er sah sie mit offenem Mund an.
»Wenn Sie reden wollen, müssen Sie warten, bis mein Dad zurück ist.«
Mit bemüht gelangweilter Miene aß er weiter, vermutlich in der Hoffnung, dass die Polizistin in seiner Küche sich in Luft auflösen würde, wenn er sie ignorierte. Er trug Jeans und ein altes T-Shirt und versteckte sich hinter seinen langen Haaren. Allerdings wusste Lena, dass er nur Theater spielte. Sie beobachtete nämlich seine Beine unter dem Tisch. Seine nackten Füße klopften auf den Boden, als stünde er unter Hochspannung. Offenbar war Harry mit dieser Situation überfordert.
»Mir ist klar, dass Sie nicht viel Zeit hatten, sich alles zu überlegen«, fuhr sie fort. »Aber sind Sie vielleicht schon einmal auf den Gedanken gekommen, dass wir auf derselben Seite stehen?«
Gelangweilt aß er noch einen Löffel Frühstücksflocken.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich versuche herauszufinden, wer Ihren Bruder umgebracht hat, Harry.«
Als er auflachte, konnte sie den Schmerz heraushören. Und die Trauer.
»Sie haben gerade drei Stunden im Haus des Mörders verbracht«, entgegnete er. »Lilys Dad hat Jake getötet. Oder haben Sie Tomaten auf den Augen?«
»Angeblich hat er Ihren Bruder seit dem Prozess nicht mehr gesehen.«
Endlich schob Harry die Schale weg.
»Dann hat er anscheinend auch Tomaten auf den Augen. Er hat Jake jeden Tag gesehen. Weil er nämlich in seinem Sessel sitzt und uns wie so ein Spinner nachspioniert. Die beiden haben sich gestern sogar gestritten.«
»Worüber?«
»Ich war nicht da. Jake hat nur gesagt, dass sie sich wieder angebrüllt hätten.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Irgendwann am Vormittag. Jake war draußen an der Garage und hat Hufeisen geworfen.«
Lena hatte gleich gemerkt, dass Hight sie angelogen hatte, als er behauptete, er habe Jacob Gant seit der Gerichtsverhandlung nicht gesehen. Es war eine Lüge von vielen. Doch Harry war im Moment wichtiger. Er machte endlich den Mund auf. Offenbar hatte sich bei ihm etwas getan.
»Könnten Sie mir vielleicht das Zimmer Ihres Bruders zeigen?«, fragte sie.
Nachdem er sie eine Weile gemustert hatte, nickte er wortlos. Sie folgte ihm durch die Diele nach oben und einen Flur entlang. Der Grundriss entsprach dem von Hights Haus. In dem Zimmer auf der rechten Seite bemerkte sie eine Elektrogitarre auf einem ungemachten Bett. Als sie sich umdrehte, stand Harry vor der Tür gegenüber.
Lena spürte, dass er zögerte, das Zimmer zu betreten. Schließlich schob sie die Tür auf und ging voran. Im nächsten Moment erschrak sie.
Von Jacob Gants Zimmer aus konnte man direkt zu Lily hinüberblicken. Außerdem trennte sie nur eine schmale Einfahrt voneinander. Lena wunderte sich, warum ihr das nicht schon früher aufgefallen war. Die Äste, die einen Teil der Sicht versperrten, gaben einem das
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