Todesakt: Thriller (German Edition)
sich beim Kampf den rechten Knöchel gebrochen. Ein glatter Durchbruch. Als Lena den gesamten Bericht las, war sie erstaunt, wie viele Einzelheiten ihr entgangen waren, als sie den Prozess von ihrem Schreibtisch aus im Fernsehen verfolgt hatte. Es war, als hätte die Übertragung eine Art Pufferzone gebildet und Tatsachen ausgefiltert oder geglättet, die ihr in diesem Fall von Anfang an wichtig erschienen wären.
Insbesondere traf das auf die Indizien zu, die die Behauptung untermauern sollten, dass Gant das Mädchen vergewaltigt hatte. Die Verletzungen, Risswunden und Blutungen an ihren Genitalien sowie Gants Sperma, sichergestellt an Oberschenkeln, Bauch, Höschen und Vagina. Dazu die Blutergüsse an Kiefer und Hals; die stecknadelkopfgroßen Einblutungen in ihren Augen.
Cobb und sein Partner hatten das absolute Grauen vorgefunden – es war ein so entsetzliches Verbrechen, dass wohl jeder Detective, selbst ein Mann wie Cobb, die Fassung verlieren konnte. Je länger Lena darüber nachdachte, desto plausibler erschien es ihr, dass Cobbs Urteilsvermögen womöglich unter dem Schock gelitten, dass der Anblick von Lilys aufgespießter Leiche auf dem Boden jegliche Hoffnung auf unvoreingenommene Ermittlungen mit einem Schlag zunichtegemacht hatte.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Lena sah auf die Uhr. Die Autopsie von Bosco und Gant war in einer Stunde angesetzt. Also blätterte sie die Fallakte zurück bis zur chronologischen Aufstellung und las, so schnell sie konnte.
Laut Cobbs Aufzeichnungen war Lily Hights Leiche um 22:00 Uhr aufgefunden worden, und zwar von ihren Eltern, als sie an jenem Freitagabend von einem Restaurantbesuch nach Hause gekommen waren. Um elf hatten zwei uniformierte Kollegen ein Tötungsdelikt festgestellt, und Cobb und sein Partner wurden verständigt. Obwohl mehr als eine Stunde vergangen war, waren die Eltern bei der Ankunft der Detectives noch immer nicht ansprechbar. Cobb, der vermutet hatte, dass beide unter starkem Alkoholeinfluss standen, hatte beschlossen, Hilfe anzufordern.
Lena wandte sich dem Bericht über die Todesursache zu, las Cobbs Notizen und blätterte wieder zurück. Da das Verbrechen willkürlich wirkte und Einbruchsspuren fehlten, war Cobb überzeugt, dass Lily ihren Mörder gekannt hatte. Auf die Frage, ob Tim Hight sich vorstellen könne, dass jemand seiner Tochter Böses wolle, habe dieser Jacob Gant genannt und erklärt, der Fünfundzwanzigjährige habe sie belästigt. Hight hatte quer über die Einfahrt direkt auf Gant gezeigt, der zufällig von seinem Sessel am Fenster aus die Vorgänge beobachtete.
In Cobbs Aufzeichnungen hieß es, ihm sei es in jener ersten Stunde hauptsächlich darum gegangen, den Tatort zu sichern und die Hights zu beruhigen, bis Hilfe eintraf. Allerdings habe er im Laufe des Abends zum ersten Mal Kontakt zu Gant aufgenommen, und zwar unter dem Vorwand, dass er ihm vielleicht als Zeuge weiterhelfen könne. Gant habe angegeben, er sei den ganzen Abend allein gewesen und habe sich in einer Kneipe ein paar Bier genehmigt. Als er nach Hause gekommen sei, sei die Polizei bereits da gewesen. Nach seinem Verhältnis zu dem sechzehnjährigen Opfer befragt, habe er geantwortet, sie seien nur Freunde und Nachbarn. Allerdings hatte Cobb Gants Verhalten während des Gesprächs als auffällig empfunden. Während er die Hights als emotional stark aufgewühlt schilderte, beschrieb er Gant als sichtlich nervös und ängstlich, ja, er hatte das Gefühl, dass er ihm auswich.
Lena erinnerte sich an ihre Unterredung mit dem Detective vor nur wenigen Stunden im Vernehmungszimmer.
Ich wusste auf Anhieb, dass der kleine Stinker unser Täter war .
Nach dieser Begegnung, diesem Moment, diesem Blick schienen die Ermittlungen nur noch in eine einzige Richtung gelaufen zu sein.
Lilys Mobiltelefon war verschwunden und blieb unauffindbar. Cobb hatte von Anfang an vermutet, dass der Mörder einen Grund gehabt hatte, das Telefon an sich zu nehmen und zu beseitigen. Und als sich der Telefonanbieter nach vierundzwanzig Stunden zurückmeldete, war der Detective sicher, den Grund zu kennen.
Gant hatte in Lilys beiden letzten Lebenswochen mehr als einhundertfünfundzwanzig SMS und Nachrichten auf ihrer Mailbox hinterlassen. Cobbs Auffassung nach hatte Gant einen großen Fehler gemacht, der den meisten Straftätern unterlief, wenn sie in Eile waren – nämlich das Telefon wegzuwerfen, ohne die Nachrichten vom Server des Anbieters zu löschen.
Lena entdeckte
Weitere Kostenlose Bücher