Todesakt: Thriller (German Edition)
Blutergüsse am Hals. Der gebrochene rechte Knöchel. Die Verletzungen an ihren Genitalien. Deshalb hatte der Tod dieses Mädchens für Cobb – ebenso wie für Steven Bennett und Debi Watson, denen der Fall zugeteilt worden war – nicht nach Liebe ausgesehen.
19
Lena überprüfte noch ein letztes Mal ihren Schutzanzug. Sie stand in der Umkleide der Gerichtsmedizin vor einem Spind und versuchte, nicht an die Schlussfolgerung zu denken, die sich ihr bei der Lektüre von Cobbs Fallakte förmlich aufgedrängt hatte. Obwohl sie so tat, als gäbe es keine offenen Fragen, wusste sie, dass sie sich etwas vormachte.
Einerseits war da Cobbs Herangehensweise an den Fall – und andererseits die Fakten. Die Lügen und ungeklärten Punkte häuften sich. Warum hatte Lily ein Foto von Gant neben ihrem Bett aufbewahrt, wenn die Behauptung des Vaters stimmte, Gant habe seiner Tochter nachgestellt, worauf sich wiederum Cobbs Ermittlungen stützten? Und warum wusste, im Gegensatz zu Tim Hight, Gants Bruder über das Verhältnis zwischen Lily und Gant Bescheid?
Und genau das war das Problem. Hight hätte es wissen müssen.
Schließlich saß er jeden Abend in seinem Sessel im Wintergarten und beobachtete die Gants. Er verharrte im Dunkeln, rauchte, trank und schnupfte Kokain.
Doch etwas war noch verräterischer: Warum legte Cobb derart wenig Hilfsbereitschaft an den Tag, wenn seine Beweise so wasserdicht waren, wie es in der Fallakte den Anschein hatte? Weshalb das Psychodrama, wenn er alle Zusammenhänge belegen konnte? Welchen Grund hatte er, ihr nicht alles über den Fall zu erzählen und ihr dann viel Glück zu wünschen?
Lena schlüpfte gerade in ein Paar Handschuhe und griff nach dem Gesichtsschutz, als das Telefon in ihrer Tasche vibrierte. Es erbebte fünfmal, bis sie es unter dem Schutzanzug hervorkramen konnte und Barreras Namen auf dem Display aufleuchten sah.
»Ich hatte gerade einen Anruf von Jack Peltre«, sagte er. »Kennen Sie ihn, Lena?«
Als sie das leise Grollen in Barreras Stimme hörte, brauchte sie nicht lang, um eins und eins zusammenzuzählen. Jack Peltre war Lieutenant in der Pacific Station. Und was noch wichtiger war: Er war Cobbs Vorgesetzter.
»Der Name sagt mir was«, erwiderte sie.
»Dann freut es Sie sicher zu hören, dass es ein Anruf in aller Freundschaft war. Und zwar, weil wir uns schon seit zwanzig Jahren kennen und Freunde sich so verhalten. Sie unterstützen einander. Und von Zeit zu Zeit telefonieren sie in aller Freundschaft miteinander. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?«
Barrera kochte vor Wut. Offenbar war die Kacke am Dampfen.
»Ich glaube schon«, antwortete sie.
»Sie glauben? Nun, sie jedenfalls verstehen, was ich meine, Lena. Freunde bleiben in Kontakt, sonst sind sie keine Freunde. Übrigens hat Peltre erwähnt, dass Sie heute Nachmittag dort gewesen seien. Und als Sie das Gebäude verlassen hätten, hätten Sie etwas mitgenommen.«
Sie warf einen Blick quer durch den Raum auf ihren Aktenkoffer, in dem die Fallakte steckte. Es war zwecklos, es abzustreiten.
»Stimmt«, sagte sie. »Ich habe etwas mitgenommen.«
Eine Weile geschah nichts, und sie hörte, wie Barrera beim Kauen auf seiner Zigarre mit den Zähnen knirschte.
»Bringen Sie es mit«, antwortete er schließlich. »Ich will Sie in meinem Büro sehen. Das ist ein Befehl, Detective. Und zwar sofort.«
Die Leitung war tot. Er hatte einfach aufgelegt.
Lena starrte auf das Telefon und überlegte. Sie trug bereits einen Schutzanzug und ging davon aus, dass ihr noch fünf, vielleicht auch zehn Minuten – plus die kurze Fahrt zum Parker Center – blieben, bis Barrera sie suchen würde. Also biss sie die Zähne zusammen, klappte den Gesichtsschutz herunter und betrat den Autopsiesaal. An diesem Abend fanden sieben Autopsien gleichzeitig statt. Und leider stand das Glas mit Vicks VapoRub nicht an seinem üblichen Platz, weshalb sie keine Chance hatte, den abscheulichen Geruch nach verwesenden Leichen und menschlichen Ausscheidungen abzumildern. Nichts, um den dichten, bedrückenden Dunst zu filtern, der jeden Zentimeter des Raums durchdrang.
Es war wie ein Schlag in die Magengrube – laut ihrem ehemaligen Partner gewöhnte man sich auch nach zwanzig Jahren nicht daran.
Doch an diesem Abend war sie voll konzentriert.
Lena ließ den Blick durch den Raum schweifen, ohne zu genau hinzuschauen, bis sie Sid Kosinski in einer Ecke entdeckte. Die beiden Leichen lagen nebeneinander auf Operationstischen aus
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