Todesbraut
anwesenden Polizisten. »Kennt von euch jemand zufällig einen POK Karsten Völker?« Niemand antwortete. Das war nicht verwunderlich, immerhin taten im Bereich der Polizeidirektion Hannover mehr als 3500 Kollegen ihren Dienst.
Wencke gab die Sprechmuschel wieder frei. »Sie haben recht. Es ist tatsächlich etwas passiert. Mehr kann ich am Telefon nicht sagen, das werden Sie sicher verstehen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern mal bei Ihnen vorbeischauen.«
Er nannte seine Adresse. Soweit Wencke sich in der Region bereits auskannte, lebte er in einem braven, nordwestlichen Vorort der Landeshauptstadt. Sie verabredeten sich für halb drei. Das musste zu schaffen sein, wenn Wasmuth bis dahin in der Lage war, sie zu fahren.
Seit sie vor knapp zwei Stunden das Fenster eingeschlagen, seit sie die Leiche gefunden, identifiziert und ihren Tod festgestellt hatten, saß der Mann wie weggetreten in seinem Auto. Die Polizei war angerückt, die Spurensicherung, die Presse und jede Menge Schaulustige, Peer Wasmuth hatte sich keinen Zentimeter bewegt.
Wencke hatte begonnen, sich wie eine Kriminalkommissarin zu benehmen, und sämtliche ein- und ausgehende Telefonate auf Shirin Talabanis Handy kontrolliert. Sie hatte das so professionell gemacht, die Beamten hielten sie wohl für eine unbekannte Ermittlerin. Und dass sie vom LKA kam, entsprach ja absolut der Wahrheit und erzielte die gewünschte Wirkung, wenn doch mal jemand nachgefragt hatte. Vorläufig ließ sie dieses Missverständnis besser unaufgeklärt. Warum auch nicht, sie hatte nicht vor, irgendwelche Beweise zu vernichten oder Spuren zu verwischen, sie brauchte lediglich ein paar Informationen, schließlich war der Tod von Shirin Talabani fast so etwas wie ihr Fall, wenn auch aus einer anderen Motivation heraus.
Viel telefoniert hatte die Kurdin allem Anschein nach nicht. Ein paarmal tauchte die Nummer von Peer Wasmuth auf, gespeichert waren außerdem das Restaurant, in dem sie servierte, der Kinderarzt, das Jugendamt und ein Name, der sich nach einem kurzen Anruf als der Vermieter herausstellte. Ein Reisebüro in Steinhude, mit dem Shirin Talabani vor zehn Tagen telefoniert hatte –
Sunshine Travel –
gab sich kurz angebunden, sie dürften grundsätzlich keine Auskunft über Kundendaten geben, es sei denn, eine gerichtliche Verfügung sehe das anders. Doch bis Wencke einen solchen Wisch vorweisen konnte, wären wahrscheinlich einige Stunden ins Land gegangen. Natürlich hatte Shirin Talabani regelmäßigen SM S-Kontakt zu ihrer Tochter Roza gehabt, es ging in erster Linie darum, wann diese zu Hause sein sollte und ob es noch etwaseinzukaufen gab. Der Anruf auf Rozas Mobilnummer war leider erfolglos, der Teilnehmer dieses Anschlusses war zurzeit nicht erreichbar, verkündete die Blechstimme.
Mehr Glück hatte sie bei dieser letzten Festnetznummer gehabt. Eine Nummer aus Hannover, bei der am frühen Morgen von Talabanis Handy aus angerufen worden war. Vielversprechend auf den ersten Blick, doch leider handelte es sich lediglich um den Fußballtrainer des Sohnes. Egal, sie würde diesen POK Völker trotzdem besuchen, manchmal konnten gerade Außenstehende wichtige Angaben machen. Oft hatten sie genügend Abstand, um Ereignisse innerhalb einer Familie objektiv zu beobachten. Die Adresse lag ohnehin auf dem Weg nach Hannover.
Wencke notierte sämtliche Telefonnummern aus dem Speicher. Es war ein schickes Handy mit allem Firlefanz und unendlich komplizierten Tastenkombinationen, die man zu bewerkstelligen hatte, bis man das fand, was man suchte. Ein auffallend teures Telefon, wenn man bedachte, was Peer Wasmuth vorhin über die Einkommensverhältnisse der alleinerziehenden Mutter berichtet hatte. In Shirin Talabanis Kleiderschrank hingen zudem einige wenige Designerklamotten vom Feinsten, in der Schreibtischschublade lagen Schmuckteile, die auf den ersten Blick ziemlich echt und ziemlich edel aussahen. Nie hätte Wencke damit gerechnet, solche Schätze in einer Kellerwohnung zu finden. Vielleicht waren es noch Überbleibsel aus der Zeit ihrer Ehe. Dieses Handy aber war absolut neu, daran bestand kein Zweifel.
Gerade als sie nach einer Handtasche greifen wollte, an deren Griff ein fettes Chanel-Logo prangte, traf Wencke ein fragender Blick von einem der Weißkittel, und sie entschied sich, lieber zu verschwinden, bevor herauskam, dass ihre Anwesenheit alles andere als abgesprochen und gebilligt war. Sie wollte hier keine Ermittlungsarbeit sabotieren,
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