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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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…«
    »Inwiefern?«
    »
Namus
ist die einzige Ehre, die man nicht gewinnen, sondern nur verlieren kann. Und das betrifft dann die ganze Familie. Wenn ein Mitglied diese Ehre beschmutzt, so ist die ganze Verwandtschaft nichts mehr wert. Wenn eine Frau in der Hochzeitsnacht kein blutbeflecktes Laken vorzeigen kann, werden alle ihre Angehörigen mit ihr ins Chaos gestürzt.«
    »Ich bitte Sie, das gilt vielleicht in Südostanatolien, aber doch nicht in einer Kleinstadt in Niedersachsen.«
    »Manchmal denke ich, diese Traditionen werden strenger gehandhabt, je länger eine Familie in Deutschland lebt. Studien haben ergeben, dass die dritte Generation der hier lebenden Türken sich fundamentalistischer gibt als die Eltern und Großeltern. Fragen Sie mal einen deutschen Gynäkologen, wie oft er von verängstigten muslimischen Teenagermädchen gebeten wird, das Hymen wiederherzustellen.«
    Wencke nickte zu allem, was Wasmuth referierte. Einerseits erschien ihr vieles fremd, bodenlos und schlichtweg inakzeptabel. Sie wusste, es war ganz und gar nicht einfach, sich diesem Thema zu widmen, und es bedeutete weitaus mehr, als sich nur mit Tätern und Opfern zu unterhalten.
    Andererseits kam sie nicht umhin, die Grundidee unangenehm vertraut zu finden. Alles basierte auf Schemata, die es zu erfüllen galt. Und wehe, man tanzte aus der Reihe: War die Mutter Malerin, sollte die Tochter besser nicht Polizeibeamtin werden; arbeitete man als Fallanalytikerin für das LKA, hatte man seine Finger aus einer aktuellen Mordermittlung zu lassen.
    Wenn man einen verheirateten Mann liebte, so war dieser Mann tabu, auch wenn er einem wöchentlich Briefe nach Amerika schickte. Alles andere brachte einem nichts als Ärger ein. Warum dachte sie ausgerechnet in diesem Moment an Axel Sanders?
    Wasmuth fuhr für seine Verhältnisse schnell. Irgendwann hörte er auf zu erzählen.
    Wencke registrierte das kaum. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich den Ärger auszumalen, der ab heute auf sie wartete.
    Nach kurzer Suche fanden sie unter der notierten Adresse in Seelze ein typisches Einfamilienhaus mit Metallschaukel in den unvermeidlichen Elementarfarben im Garten. Wasmuth blieb im Wagen sitzen, die Fahrt hatte ihn fertiggemacht, er brauchte seine Ruhe, behauptete er. Das war Wencke nur recht.
    Die Klingel ahmte Big Ben nach und POK Karsten Völker hatte schon vor dem letzten Dong die Tür geöffnet. Mit seinem mittelblonden Standard-Polizisten-Schnauzbart erinnerte er Wencke ein wenig an den Auricher Kollegen Britzke. Er trug sein marinefarbenes Uniformhemd mit kurzen Ärmeln, imFlur stand eine gepackte Sporttasche. Wencke konnte weiter hinten eine moderne Küchenzeile ausmachen, am Fenster stand eine Frau mit Kaffeepott und schaute sich die unbenutzten Spielgeräte auf dem Rasen an. Die dicke Luft im Hause Völker atmete Wencke sofort ein.
    »Ich habe mit den Kollegen telefoniert und weiß Bescheid!«, sagte der Polizist statt einer Begrüßung. »Shirin Talabani wurde ermordet.«
    Er verschwieg, was er davon hielt, und nichts an ihm verriet, ob diese Sachlichkeit mühsam zur Schau gestellt war oder aus der professionellen Distanz eines Polizeibeamten resultierte. Durch seinen Informationsvorsprung hatte er Wencke um diesen kleinen Moment der Nacktheit gebracht, mit dem die Menschen sonst auf eine Todesnachricht reagierten.
    »Meine Frau hat Kaffee gekocht, kann ich Sie damit begeistern?«
    Wencke nickte und die Frau kam wie auf ein unhörbares Kommando mit einer dampfenden Tasse in den Flur. »Milch und Zucker?« Sie sah hübsch aus, war schlank und modisch gekleidet. Kurz, sie war die Sorte Frau, die es allen recht machte. Nur lächeln wollte sie nicht.
    »Nein danke, ich trinke schwarz.« Wencke nahm den Kaffee, pustete in die dunkle Flüssigkeit und zählte innerlich bis drei, dann begann sie das Gespräch. »Haben Sie inzwischen herausgefunden, warum heute Morgen von Shirin Talabanis Nummer aus bei Ihnen angerufen wurde?«
    Die Frau räusperte sich. »Kommen Sie doch mal mit ins Wohnzimmer.«
    Wencke folgte in einen riesigen Raum mit angrenzendem Wintergarten. Die Gardinen passten zum Teppich, zu den Kissen, sogar zu den kleinen Deckchen, die auf dem Glastisch lagen. »Hübsch haben Sie es hier«, sagte Wencke, keinesfalls, weil sie das tatsächlich fand, sondern eher, weil dieser Raumes geradezu einforderte, gelobt zu werden. Schöner Wohnen dreidimensional. Lediglich ein brauner Fleck auf dem Teppich füllte die Lücke, die die

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